Eine Woche ist es her, als in Deutschland #Clubhouse die No. 1 in den Twitter Trends war. Wenige Augenblicke später war ich dann auch „drin“: in der „Drop-in Audio Chat“ Anwendung, wie sie sich selbst nennt. Oder in anderen Worten: Live Podcasts zum Mitmachen.
„Audio Chat“ ist der logische nächste Schritt in einer audiophilen Zeit
Die Bedeutung des (Zu)hörens wird aktuell immer größer. Erst gewannen Hörbücher an Bedeutung (z.B. Audible), das Betreiben eines Podcasts gehört mittlerweile zum guten Ton. Mein vermuteter Grund: Wir können nebenbei noch andere Dinge erledigen – ich beispielsweise versüße mir das Bügeln mit dem Hören einer TrueCrime Story. Das alles waren „Sender-only“ – also im Grunde Weiterentwicklungen des guten alten Radios. Was fehlte, war der Mitmach-Faktor. Bei der „Lage der Nation“ (politischer deutscher Podcast) hätte ich oft gerne einmal eine Frage gestellt oder hätte interessiert den Bemerkungen anderer gelauscht. Dies bietet nun Clubhouse:
Das virtuelle Café: Vom eigenen Sessel aus den Gesprächen der Nachbartische lauschen und sich einfach einmischen
Hört sich vielversprechend an und ist auch faszinierend. Natürlich auch wegen der prominenten Namen, die dort zu finden sind. Carsten Maschmeyer ist ebenso dort vertreten wie die Politiker Saskia Eskens und Christian Lindner oder Journalisten wie Dunja Hayali oder Sascha Lobo. Interessanterweise haben sich viele Politiker dort zum Gespräch mit uns, den Bürgern getroffen. Hätte ich nicht unbedingt erwartet. Wie die Gespräche abgelaufen sind, kann ich nicht beurteilen, denn mich haben die großen Namen, die Conversations mit mehreren 100 oder sogar 1000 Teilnehmern generieren, eher weniger interessiert. Mir ist das zu „laut“: Zu viele Sprecher, der rote Faden geht verloren. Dort habe ich nie länger als ein paar Minuten verweilt. Das war für mich wie eine schlecht moderierte Talkshow. Jeder will vor allen Dingen sichtbar sein und sein/ihr Statement platzieren. Langweilig.
Die echten Dialoge finden in kleinen Conversations statt
Fast wollte ich die App schon wieder löschen, als ich mich entschied, einmal in die kleinen Events mit unbekannten Personen aber spannenden Themen zu gehen. Ab da war ich angefixt, denn ich habe erlebt, was im wahren Leben eher selten vorkommt. Gespräche im besten Sinne des Wortes: Die Teilnehmer hören einander zu, reflektieren das Gesagte und spinnen den Faden weiter. Toll. Da ist alleine das Zuhören bereichernd.
Von „Building a better future with AI“ bis „Friseure in der Pandemie“ ist alles dabei
In beiden Räumen habe ich lange verweilt (+1 h) – nur als Zuhörerin. Von digitaler Technik verstehe ich ja ein bisschen was, ich war begeistert von der Qualität der Diskussion: Genau das brauchen wir: Menschen, die sich über Kontinente und Kulturen hinweg über die großen Themen der Zeit austauschen. Auch die Friseure waren spannend. Es war unterhaltend, mitzuverfolgen, wie Inhaber von Friseurgeschäften gerade über diese Zeiten kommen: Mit virtuellen Weiterbildungen, gegenseitigem Austausch und dem Wunsch, die Auszubildenden trotz Corona gut auf die Prüfungen vorzubereiten. Die Friseure, denen ich hier zugehört habe, haben mich beeindruckt wegen der Offenheit, mit der sie über neue Möglichkeiten im Digitalen diskutiert haben. Hier hat sich mir eine Welt erschlossen, zu der ich sonst keinen Zugang habe.
Journalisten mit verräterischem Selbstbild
Auf Twitter sind mir mehrere Beiträge von Journalisten aufgefallen. Sie haben sich darüber geärgert, dass Kollegen „umsonst“ auf Clubhouse Gespräche führen und ihr Wissen teilen. Wenn ich diesem Menschen zufällig im Café am Tisch gegenüber sitze, muss ich dann auch bezahlen, wenn ich ins Gespräch kommen will? Es wird unterstellt, dass die Kollegen nur auf Clubhouse sind, um ihre einzigartigen Einsichten (die ich ihnen nicht unbedingt absprechen will) zu teilen. Dass diese auch Menschen sind, die den Austausch mit anderen suchen, scheint unvorstellbar?
Politiker im direkten Dialog
Positiv empfand ich, dass Spitzenpolitiker den direkten Austausch mit uns, den Bürgern, suchen. Wenngeich ich auch andere Berichte gehört habe, ich selber habe nur Diskussionen gehört, die im Tonfall und Inhalt in Ordnung waren. Welche Social Media App ermöglicht dies sonst? Vielleicht liegt es an den Klarnamen. Mal abwarten, wie dies Politik verändert.
Die großen Emotionen
Von Anfang an kochten die Emotionen rund um Clubhouse hoch. Zum einen wegen der mit der DSGVO nicht konformen Datenschutzregelungen. Das übliche Thema, auf das ich hier nicht weiter eingehen möchte, weil darüber schon überall leidenschaftlich gestritten wurde. Einen vielschichtigen Dialog dazu findet Ihr hier, eine fachlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema hier von Marc Dauenhauer.
Das andere Reizthema war die „Exklusivität“, da Clubhouse nur auf IOS verfügbar ist. Fällt für mich auch eher in die Kategorie „Hauptsache aufgeregt“. Wenn der Bedarf da ist, wird über kurz oder lang ein Wettbewerber eine ähnliche App bereitstellen und/oder Clubhouse selber sich für Android öffnen. Der Markt wird es wohl richten.
Mein Fazit: Spannend, aber ohne Suchtfaktor
Für mich persönlich ist die App ein netter Zeitvertreib. Einen Suchtfaktor hat sie für mich nicht. Dennoch ist sie eine gute Möglichkeit, mit interessanten Experten in den Austausch zugehen. Auf die vielen Marketing Conversations („Wie Du über Clubhouse Dein Business boosten kannst“) kann ich gut verzichten, auf die Prominenz ebenfalls. Große Events haben für mich keinen Reiz.
Ich selber nutze die App auch im beruflichen Kontext, um über spannende Themen mit anderen in den Austausch zu gehen. Der erste Versuch war klasse: es waren kompentente und interessierte Teilnehmer dort, ich habe selber viel gelernt und durfte hoffentlich auch ein paar Impulse weitergeben