Wenn es um Transformation geht, reden wir schrecklich gern über Technologie. Künstliche Intelligenz, Blockchain – wir versuchen, die Logik, die Abläufe zu verstehen, damit wir die Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen einschätzen können – wir gehen also mit unserem Intellekt an das Thema heran. Hört sich erst einmal sinnvoll an, aber es stellt sich immer wieder heraus, dass das alleine nicht ausreicht.
Tesla, Amazon oder ein Start-Up hatten keine Vergangenheit
Egal ob Tesla, Amazon oder ein StartUp wie retraced: Allen ist gemein, dass die Gründer verstanden haben, zu was Technologie in der Lage ist (siehe oben) und aus dieser Erkenntnis heraus etwas vollkommen Neues erschaffen haben. Sie können sich eine Welt vorstellen, die ganz anders ist als alles bisher dagewesene. Der Klassiker Kodak ist genau daran gescheitert: die Angst, sich von Filmrollen zu verabschieden.
der erste rosa Elefant: Veränderung bedeutet, Abschied zu nehmen
Abschied nehmen fällt uns extrem schwer. Das ist der große Vorteil der Pioniere, sie haben keine Geschichte und können bei Null anfangen. Dabei wird uns genau diese Fähigkeit immer mehr abverlangt werden, als Gesellschaft, als Unternehmen und auch als Individuum.
Egal, ob es das Ende fossiler Energieträger ist oder ein vollkommen neues Verständnis von Mobilität, bei der das Auto nicht nur eine geringere Rolle spielen wird, sondern vielleicht auch als Besitz gar nicht mehr nötig sein wird. Wir können heute noch gar nicht abschätzen, welche Bedeutung Kryptowährungen wirklich haben werden. Unser Finanzsystem wird vermutlich noch einige Stresstests bestehen müssen. Die Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen, aber das Prinzip ist klar: Die eigentliche Schwierigkeit besteht nicht darin, Neues nicht zu erkennen, sondern zu verinnerlichen, dass wir uns von Gewohntem verabschieden müssen, so verankert es auch in unserem Alltag sein mag.
Das ist leichter gesagt als getan. Ich weiß, wovon ich spreche. Aufgewachsen im Ruhrgebiet der 70er Jahre, stemmte sich eine ganze Region gegen das Unvermeidliche: das Kohle und Stahl kein Garant mehr sind für Wohlstand. In meine Zeit bei IBM fiel der Durchbruch von Cloud-Computing – in die Welt gebracht nicht von einem etablierten Wettbewerber, sondern vom größten Online-Händler der Welt. Extrapolation von gewohnten Mustern aus der Vergangenheit führt in die Sackgasse, wir müssen uns von alten Sicherheiten verabschieden – und neue Sicherheiten finden. Nur so haben wir nämlich die zwingend nötige Zuversicht, um die Chancen im Neuen zu erkennen
der zweite rosa Elefant: das Neue willkommen heißen
Bei vielen meiner Vorträge und Workshops zu Zukunftsthemen erlebe ich immer wieder die gleiche Reaktion: “Wie können wir das verbieten?” “Das” ist hier ein Platzhalter für alles, was sich nicht mit alten Mustern vereinbaren lässt. Meine kurze, schmerzhafte und realistische Antwort: “Gar nicht.” Die Realität ist wie sie ist und richtet sich nur bedingt nach dem, wie wir sie gerne hätten.
Dieser Verbotsreflex ist gerade in Deutschland stark vertreten. Der Automobilbau hat uns unglaublichen Wohlstand gebracht, die Welt möge doch bitte weiterhin viele Verbrenner kaufen. Alles andere macht uns Angst und hindert uns daran, aktiv diese Zeit zu gestalten. Stellvertretend für die meisten anderen Branchen zeigt sich hier, dass wir in zwei von drei Innovationsarten (siehe Clayton Christensen, The Innovator’s Dilemma) sehr gut sind:
Innovationen, die bestehende Produkte besser machen, also das aktuelle Geschäftsmodell stützen
Innovationen, die es ermöglichen, mehr mit weniger Aufwand zu produzieren – also die Margen erhöhen.
Die Innovationen, die uns in die Zukunft tragen, sind nur möglich, wenn der zweite rosa Elefant gesehen und integriert wird: Disruptive Innovationen. Sie kosten Geld, erfordern Kreativität und Risiko und eine Vorstellung des Möglichen. Wer disruptiv ist, sieht die Welt von der Zukunft aus. Genau hier fehlt es in den meisten Unternehmen. Weil wir uns zu sehr auf äußere Sicherheiten (bestehende Geschäftsmodelle, hohe Gehälter, Planzahlen) stützen.
Für Disruption braucht es innere Sicherheiten: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die der Kollegen und eine Zuversicht, in unübersichtlichen Zeiten aus dem Meer der Möglichkeiten zu schöpfen.
Und da ist er: der dritte rosa Elefant, der immer im Raum ist, der aber beharrlich ignoriert wird.
Der dritte rosa Elefant: ohne Vertrauen keine Chance für die digitale Transformation
Wir sind beim schwersten Punkt, weil er der größte Paradigmenwechsel ist. Dabei kommt er so schön kuschelig daher und ist doch so brutal: den hier schlagen wir knallhart auf dem Boden der Realität auf – denn wir müssen uns mit uns selbst beschäftigen.
Wir kommen aus der industriell geprägten Arbeitswelt: der Mensch als Rädchen im Getriebe der Organisation, in der er arbeitet. Wir könnten auch sagen als Erfüllungsgehilfe – egal ob Mitarbeiter oder Führungskraft. Alle müssen vor allem eins: Ziele erreichen, die in KPIs gemessen werden. Der Boden, auf dem die Bestandsinnovationen gedeihen konnten – die Sicherheite der plabaren Welt. Führung war konsequenterweise Befehl und Kontrolle, das ist systemimmanent.
Wenn nun diese Führungskräfte plötzlich von Vertrauenskultur reden, schauen sie oft in leere Augen – und beklagen sich dann darüber. Hier beginnt nämlich das große Missverständnis. Vertrauen lässt sich leider nicht befehlen, jeder einzelne von uns muss einen Vorschuß an Vertrauen geben – sonst ist es nur eine Worthülse.
Heißt konkret: Wir müssen uns also mit uns selbst auseinandersetzen. Vertraue ich? Können andere mir vertrauen? Was muss ich an mir selber ändern, damit ich andere inspiriere?
Was noch? Kommunikation. Die haben wir verlernt. Befehle austeilen und annehmen nur ein Fragment von Kommunikation, sie ist kein Dialog, vor allen Dingen wohnt ihr keine Wertschätzung inne. Genau an dieser Stelle unterschieden sich die Macher von den Schwätzern.
Wie sich Macher von Schwätzern unterscheiden
Wer nur einen Tischkicker aufstellt, wer schicke Lounges eingerichtet hat, ohne den Mitarbeitern Freiheitsgrade zu gewähren, wird scheitern. Sehr offensichtlich ist der Widerspruch in modernen Bürowelten, in denen kein WLan bereitgestellt wird und nur die Vertriebler über mobile Arbeitsgeräte verfügen. Da bekam ein abbruchreifes Haus einen schicken Anstrich. Wir spüren die Unstimmigkeit meist schon beim Betreten des Gebäudes.
Wie sollen wir kreativ, selbständig und vernetzt arbeiten, wenn wir das nie gelernt haben und dies auch nie erwünscht war? Dies geht ausschließlich in einer Umgebung, in der wir innere Sicherheit spüren: Das Vertrauen, wir selbst sein zu dürfen, Fehler zu machen, andere Sichtweisen zu haben.
Das ist eine große Aufgabe und sie ist vor allen Dingen eins NICHT: rosarote Selbstverwirklichung. New Work wird oft romantisiert, dabei ist es das Gegenteil: Perspektivenvielfalt, Entwicklung eigener Ideen, Eigenverantwortung sind anstrengend. Wir werden Konflikte austragen müssen, lernen zu zuzuhören und uns mit unseren eigenen Schwächen auseinandersetzen müssen.
Der erste Schritt: Die Erkenntnis, dass Veränderung sehr viel mit Emotion zu tun hat.
Die drei großen Emotionen des Digitalen: Abschiedsschmerz, Abenteuerlust, Vertrauen
Klaus Schwab, Gründer und CEO des Weltwirtschaftforums, hat es einmal auf den Punkt gebracht:
Wie das konkret klappt? Mehr davon im nächsten Artikel.
Über mich:
Ich mache Digitalisierung greifbar durch konkrete Geschichten: Zu Technologien, Menschen und Organisationen. Immer mit Fokus auf den Chancen. Die Herausforderungen kommen noch früh genug. Sprechen Sie mich einfach an: Für Keynotes und Workshops.
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