Besitz ist etwas Emotionales. Es ist ein Unterschied, ob wir uns etwas gehört oder ob wir es nur geliehen haben. Wir haben eine ganz andere – persönliche – Beziehung zu dem Gegenstand. Wir sehen wir zum Beispiel eine gemietete Ferienwohnung im Vergleich zu eigenen daheim? Genau! Wenn es ums Digitale geht, haben wir uns diese Frage bislang nicht gestellt. Spoiler: dies wird sich in 2022 ändern.
LinkedIn, Facebook & Co können unsere Accounts einfach sperren, egal wieviel Zeit wir hinein gesteckt haben – sie „gehören“ uns nicht. Die Unternehmen machen die Regeln, nicht wir. Das ist besonders bitter, wenn wir viel Aufwand in den Aufbau eines Personal Brandings beispielsweise bei LinkedIn gesteckt haben oder als Content Creator bei YoutTube über viele Jahre eine Community aufgebaut haben. Gleiches Spiel gilt für unsere Daten. Wir treten quasi freiwillig die Rechte daran an die großen Plattformen ab – mit allen Konsequenzen. Was machen diese damit? Welche Erkenntnisse gewinnen sie aus meinen Daten? Mit welchen Attributen werde ich als Mensch in der Menschensuchmaschine “Facebook” oder “Google” eingestuft? Wir wissen es nicht und akzeptieren diesen Kontrollverlust.
Bis jetzt. Das auf der Blockchain Technologie basierende Web 3.0 zeigt genau hier ihr disruptives Potential. Es macht virtuellen Besitz möglich. Um das zu verstehen, begeben wir uns an die Anfänge.
Kann mir ein Stück vom Internet gehören?
Fangen wir mit der “Mutter aller Blockchain Anwendungen” an: Bitcoin. Wer in das Thema Kryptowährung einsteigt, der kommt nicht umhin, sich mit Wertspeichern und Zahlungsmitteln generell zu beschäftigen. Wer sich fragt, warum einer digitalen Information (dem Bitcoin) ein Wert beigemessen wird, stellt sich dann auch schnell generell die Frage, warum einem Stück Papier (dem Geldschein) ein Wert beigemessen wird. Durch Gold als garantierten Gegenwert ist unser Währungssystem ja schon lange nicht mehr abgedeckt. Beim FIAT Geld ist es das Vertrauen in die dahinterliegende Volkswirtschaft, doch was ist es beim Bitcoin? Nach meiner Definition: das Wissen um ein riesiges dezentrales Netzwerk, das sich gegenseitig kontrolliert und alle Informationen mit eindeutigen Identitäten verknüpft und unveränderbar protokolliert. Zudem ist die Menge an Wertspeichern (zumindest beim Bitcoin) begrenzt. Niemandem gehört dieses Netzwerk, keine kann alleine etwas entscheiden. All das zusammen führt dazu, dass wir kein Vertrauen in eine zentrale Instanz mehr benötigen – Vertrauen wird ersetzt durch Mathematik. Doch wie ist dies möglich? Und warum genau brauchten wir bislang zentrale Kontrollinstanzen?
Die strukturellen Probleme zentraler Datenhaltung
Warum benötigen wir Banken für den Zahlungsverkehr, warum brauchen wir Plattformen wie AirBnB oder Uber? Weil sich die Geschäftspartner gegenseitig nicht kennen und deshalb nicht trauen. Die zentrale Instanz kontrolliert die Identität der Geschäftspartner und stellt sicher, dass Leistung und Zahlung ordnungsgemäß abgewickelt werden. Daraus folgen zwangsläufig zentral gesteuerte Strukturen mit allen Konsequenzen: Wir müssen darauf vertrauen, dass die Bank oder die digitale Plattform die Daten sicher gegen Angriffe von außen schützen. Wir wissen nicht, was diese Unternehmen selber mit den Daten machen.
Die größte Errungenschaft der Blockchain: der Konsensus-Mechanismus
Hier kommt nun das große Potential der Blockchain zum Tragen: der Konsensus Mechanismus. Er hat mathematisch ein Entscheidungs-Dilemma verteilter Strukturen gelöst, die sogenannte Byzantinische Fehlertoleranz. Ein Gedankenexperiment, bei dem wir uns eine Armee vorstellen, die eine Stadt belagert. Die Generäle müssen sich jeder für sich für Angriff oder Rückzug entscheiden. Damit die Operation erfolgreich ist, müssen sich alle Generäle auf eine Entscheidung festlegen und zeitgleich agieren. Für die Kommunikation steht nur ein Kurier zur Verfügung, der die Entscheidung der Generäle untereinander verbreitet. Die Schwierigkeit: wie kommt dieses verteilte System zu einer korrekten Entscheidung, selbst wenn Teile davon fehlerhafte Informationen übermitteln. Die Blockchain hat dieses Problem gelöst und damit die Notwendigkeit in zentrale Kontrollinstanzen strukturell obsolet gemacht. Hier Links zum weiteren Verständnis von Proof of Work und Proof of Stake Diese sind könnten das Spiel von Macht und Besitz verändern.
Das Decentralized Web birgt faszinierende neue Möglichkeiten
Die scheinbar unumstößliche Notwendigkeit zentraler Datenhaltung und die Nutzung digitaler Services über Plattformen sind das Fundament für den sagenhaften Reichtum und Macht von BigTech. AppEntwickler müssen beispielsweise 30% ihres Umsatzes an Apple abgeben, wenn ihre Anwendung im Apple AppStore bereitgestellt werden soll. Content Creator auf YouTube, Instagram, Twitter oder auch LinkedIn haben keine Kontrolle über ihre Daten und ihre Accounts, der Löwenanteil der Wertschöpfung geht an die Plattformbetreiber und nicht an die Teilnehmer.
Was wäre, wenn wir einen Social Media Service hätten, der ähnlich wie Bitcoin keiner einzelnen Person gehört, sondern dezentral von einem Netzwerk vieler betrieben wird? Was wäre, wenn wir sozusagen Eigentumsrechte an unseren Inhalten und über unsere virtuelle Identität hätten? Wenn eine einzelne Instanz nicht mehr alleine entscheiden kann, ob Inhalte oder Accounts gesperrt werden? Wenn transparent wäre, warum uns was im Feed angezeigt wird und wenn jeder Klick uns Umsatz bringt – Peer to Peer. Ihr ahnt, wie groß der Paradigmenwechsel ist. Und hier schließt sich der Kreis zum nächsten großen Thema, das das kommende Jahr bestimmen wird: das Metaverse
Das Metaverse stellt die Frage nach dem Besitz im Internet neu
Mit dem Metaverse stellt sich die Frage nach dem Besitz nun noch einmal in einer ganz neuen Dimension. Wir sehen uns in virtuellen Konferenzen nicht mehr nur vor einem imaginären Hintergrund auf dem Screen, sondern können in diese Welten real eintauchen, sozusagen in eine vierte Dimension. Unternehmen investieren jetzt schon große Summen, um beispielsweise im Dencentraland (einem Metaverse im Web 3.0) Land zu kaufen und Gebäude zu errichten. Wer wollte, konnte auf dem virtuellen Times Square im Decentraland Silvester feiern.
Wem gehört das virtuelle Büro im Metaverse?
Auch in digitalen Welten brauchen wir Alltagsgegenstände. Vermutlich schon in einigen Jahren wird zur Standard- Arbeitsplatzausstattung nicht mehr nur ein Notebook, ein Smartphone und der Schreibtisch gehören, sondern auch eine VR Brille. Heißt konkret, wir haben dann nicht mehr nur die Auswahl zwischen Homeoffice und Büro, sondern auch noch zwischen dem Meetingraum im Metaverse. Wenn ich als Unternehmer nun Spezialisten beauftrage, diesen persistenten virtuellen und dreidimensionalen Meetingraum zu gestalten, dann tätige ich ein Investment und möchte dieses Raum nach eigenem Geschmack einrichten, verändern und natürlich auch besitzen. Doch wie ist das im Metaverse des Mark Zuckerberg? Dauerhafter Besitz ist dort nicht vorgesehen. Genauso wenig ist klar, ob und wer die Gespräche im Metaverse mithört. Wir sehen: im Metaverse stellen sich die alten Fragen des Web 2.0 noch einmal mit neuer Dringlichkeit. Macht dies die alten Player noch viel mächtiger? Werden sie die Herrscher der virtuellen Welt?
Token als Eigentumsnachweis im Web 3.0
Hier schließt sich nun der Kreis zur Veränderungskraft dezentraler Strukturen und gegenseitiger Kontrolle. Genauso wie mir – vereinfacht gesagt – in der Bitcoin Blockchain ein Stück Information meiner digitalen Identität zugeordnet wird und damit in meinen Besitz übergeht, kann dies auf alle möglichen anderen virtuellen Dinge ausgeweitet werden. Im Web 3.0 geschieht dies über Token = Wertmarken. In 2021 gelangten die NFTs (nicht veränderbare Wertmarken) auf einmal in aller Munde. Die Eigentumsnachweise über ein paar digitale Bildchen von Kryptopunks erreichten Werte von einigen Millionen Euro. Was aktuell noch eher wirkt wie die etwas durchgeknallten Spekulationsobjekte digitaler Kunst von wenigen reichen Nerds, wird sich in kurzer Zeit zu handfesten Besitznachweisen entwickeln. Etwas, auf das die großen Player des Web 2.0 noch keine Antwort haben.
Das Thema zieht weite Kreise: Für Content Creator, Journalisten und Zeitungsverlage ergeben sich hier ganz neue Geschäftsmodelle. Statt auf die Google SEO zu schielen und für die Darstellung in NewsFeeds große Summen zu bezahlen, könnten im Web 3.0 die Gewinne direkt den Erstellern der Inhalte zukommen abzüglich minimaler Gebühren für die Verwaltung der Blockchain. Die nahtlose Integration von Krypto-Wallets in DApps und die systemische Peer-to-Peer Transaktionen machen dies möglich. Ich empfehle allen, dem Decentraland einmal einen Besuch abzustatten, erstellt euch eine Kryptowallet. Nicht für Spekulationszwecke, sondern um die Technologie zu erleben und zu verstehen.
Web 3.0 die Antwort auf die großen Fragen?
Haben wir nun also die Lösung für die großen Probleme des Web 2.0 gefunden? Nein, das wäre wohl auch zu einfach für unsere komplexe Welt. Ich würde sagen, das Web 3.0 zeigt neue Möglichkeiten auf ohne für alles eine Lösung zu haben. Wer einmal auf Twetch war (dem dezentralen Pendant zu Twitter) erkennt sehr schnell, dass Hate Speech, Polarisierung und Fake News nicht von Zauberhand verschwinden. Für die unappetitlichen Facetten menschlicher Handlungen (wie verfolgen wir eigentlich sexuelle Belästigung im Metaverse?) brauchen wir im Digitalen Lösungen, die wir wohl nicht in Technologie alleine finden werden. Bitcoin zum Beispiel ermöglicht zwar prinzipiell jedem Menschen den Zugang zum Netzwerk, die Unterschiede zwischen arm und reich hebt er natürlich nicht auf.
2022 steht im Zeichen von Machtstrukturen und Besitz
Wir stehen mit Kryptowährungen, dem Web 3.0 und Metaverse noch ganz am Anfang. Immer mehr Menschen finden Zugang zu den Themen und erkennen für sich neue Möglichkeiten. Deshalb ist meine Prognose für das Jahr 2022: es wird viel um Macht und Besitz im Digitalen gehen.
Es bleibt spannend. Digitalisierung verändert. Alles.