Digitale Geschichten

Ein Auto wie ein Netflix-Abo? Das Ende des Automobils wie wir es kennen

Wir schreiben das Jahr 2030.

Lars hat sein Date in ein schickes, abgelegenes Restaurant in die Weinberge des Elsass eingeladen. Dank seines Mobilitäts-Abos der Luxusklasse „Ride&Style Gold“ hat er sich ein autonomes zweisitziges Cabrio um 19:30 Uhr vor seine Haustür bestellt.

Seine Begleiterin ist begeistert als das Auto sich sanft in Bewegung setzt und der Besitzer des Restaurants ihnen die Menüfolge des heutigen Abends auf der Frontscheibe des Fahrzeugs präsentiert. Dann zeigt er ihnen virtuell den für sie ausgewählten Platz und fragt, ob ihnen der ausgewählte Tisch zusagt. Beide freuen sich jetzt noch mehr auf den bevorstehenden Abend. Das Fahrzeug übermittelt die Ankunftszeit an das Restaurant. Als sie eintreffen, perlt der Champagner in den Gläsern. Die Parkplatzsituation vor Ort ist für sie bedeutungslos, denn das autonome Fahrzeug fährt sofort weiter. Egal wie lange der Aufenthalt dauert, Lars hat in seinem Mobilitätsabo der Luxusklasse eine garantierte maximale Wartezeit von nicht mehr als 15 Minuten.

Wenn die Sneak Preview von Squid Game im Abo enthalten ist

Szenenwechsel: Familie Schmidt reist in den Sommerurlaub nach Wangerooge, Nordsee. Sie haben ebenfalls ein Mobilitäts-Abo, allerdings „nur“ in der Klasse „Convenient Travel“. Der angeforderte geräumige autonome Bus steht pünktlich vor der Tür. Er hat genug Platz, um die zwei Surfbretter und die vierköpfige Familie mit ihren vielen Koffern und Taschen mit auf die Reise zu nehmen.

Die Kinder sind wie immer aufgeregt und streiten sich ein bisschen. Der Vater bucht für einen Aufpreis von 12 € die Preview der neuesten Squid Game Staffel, die exklusiv für die Kunden der Mobilitäts-App angeschaut werden kann. Auf allen vier Scheiben startet in Panorama Ansicht der Film. Die Zeit bis zum nächsten ICE Bahnhof in Limburg vergeht wie im Flug. Dort steigen sie in das für sie reservierte Zugabteil um. Um das Gepäck kümmert sich jemand vom Mobilitätsdienstleister. Das war der Grund, warum sich Familie Schmidt für die etwas teurere Klasse „Convenient Travel“ entschieden haben. Mit zwei aufgeregten Kindern auch noch das Gepäck in den Zug schaffen zu müssen ist nicht förderlich für die Urlaubsstimmung. Am Urlaubsziel in Wangerooge steht wieder ein autonomes Fahrzeug bereit, um sie zum Hotel zu bringen.

Wenn Abos so selbstverständlich geworden sind wie die Luft zum Atmen

Manchmal fahren Lars oder Familie Schmidt an einem der traditionellen Autohäuser vorbei, die noch Autos verkaufen. Sie sind froh, dass für Mobilität heute nicht mehr ein eigenes Auto nötig ist, sondern als Abonnement gebucht werden kann. Familie Schmidt spart bares Geld, sie braucht kein Auto mehr zu kaufen, sondern bestellt sich eines bei Bedarf. Beim Neubau ihres Hauses konnten sie auf eine Garage verzichten und haben die Fläche für eine Schaukel und einen Trampolin genutzt.

Lars sagt: „Früher hätte ich mir vielleicht einen BMW gekauft, doch heute bekomme ich über ein Abo viel mehr Erlebnis geboten.“ Zudem ist er weder auf einen Fahrzeugtyp noch auf ein bestimmtes Verkehrsmittel festgelegt. Manchmal bevorzugt er die Bahn, oder eine Kombination aus Auto/Bahn/E-Scooter. Die App bietet automatisch je nach Voreinstellungen die schnellste/günstigste/bequemste Kombination an. Immer mehr Metropolen bauen ihre innerstädtischen Grünflächen aus und verbannen Autos aus der Innenstadt. Für Lars und Familie Schmidt spielt das keine Rolle. Egal wohin sie wollen, die App sucht immer die passenden Verkehrsmittel aus. Lars meint, sein Lifestyle habe sich definitiv verbessert. Was früher die Rolex war, ist heute sein „Ride&Style Gold“ Abo. Es bietet bevorzugten Zugang zu exklusiven Events und Restaurant.

Schnitt.

Kehren wir zurück ins Jahr 2022

Ich reiße Euch jetzt aus diesen süßen Träumen, wir befinden uns wieder im Jahr 2022. Auf Twitter trendet #Sitzheizung. Die Reaktionen schwanken zwischen Empörung und Belustigung. Beides nicht zwingend das, was BMW mit seiner Ankündigung erreichen wollte. Offensichtlich sind Lenkrad- und Sitzheizung als Abo nicht das, was die Kunden wünschen.

Warum eigentlich? Subscriptions sind in anderen Bereichen längst in unseren Alltag eingezogen. Netflix und Spotify gehören wie die monatliche Stromrechnung zu den laufenden Kosten. Bei mir als Freiberuflerin kommen noch unzählige Abos für Software und Services hinzu. Ich müsste in meiner Buchhaltung (auch als Software Abo) nachschauen, wieviele es sind. Ich bin froh, dass die Zeit der dauerhaften Lizenzen vorbei ist. Alles ist automatisch auf dem neuesten SW-Stand. Ich kann Services zu- und abbuchen, je nach Bedarf. Im Sommer beispielsweise kündige ich regelmäßig mein Netflix Abo, weil ich so gut wie gar nichts im TV schaue – das ist in weniger als 3 Minuten erledigt. Was bei Software funktioniert, sollte doch die Zukunft des Autofahrens sein, oder? Eigentlich macht es doch Sinn, wenn ich im Sommer die Klimaanlage und sogar die Kühlung des Sitzes hinzubuche, während es im Winter eben Lenkrad- und Sitzheizung sind. Die Softwaresteuerung des Autos macht es möglich. Die Ursache für den Ärger liegt nicht an der Subscription an sich.

Das Spannungsverhältnis von Besitz und Abos

Eines wird deutlich bei den Reaktionen auf Twitter: für großen Ärger sorgt das Gefühl, abgezockt zu werden. Der Grund dafür ist das Spannungsverhältnis zwischen einem Gut, das mir gehört und einem Abomodell, bei dem ich temporär ein Nutzungsrecht erwerbe. Wenn beides vermischt wird, entsteht beim Kunden der Eindruck, über den Tisch gezogen zu werden. Der Hersteller wolle sozusagen zweimal Geld verdienen: einmal beim Verkauf eines hochpreisigen Autos und dann noch, in dem eigentlich selbstverständliche Funktionen zusätzlich bezahlt werden sollen. Kein Wunder, dass es viele spöttische Kommentare gab.

Quelle: https://twitter.com/BenHope1981/status/1548045236743467009?s=20&t=2RLa20bKNCXqJHwi4VCJVA

Wir sehen: Besitz und Abo-Modelle vertragen sich nicht gut. Hier müssen die Hersteller viel Verständnis für digitale Services mitbringen. Gegen ein Abo, das zusätzliche Leistungen bietet, die sich noch nicht in meinem Besitz befinden, haben sich die wenigsten etwas einzuwenden.

Der Kunde in den Fängen des Herstellers

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Das Gefühl, dem Hersteller hilflos ausgeliefert zu sein. Mit den falschen Abomodellen kann der Eindruck entstehen, es würde uns etwas weggenommen werden, das wir schon bezahlt haben. Je nach Gutdünken könnten dann ja vielleicht auch noch ganz andere Dinge im Auto wieder abgestellt werden.

Quelle: https://twitter.com/Knattergott/status/1548189861084925954?s=20&t=2RLa20bKNCXqJHwi4V

Wir sehen: Besitz und Abo-Modelle vertragen sich nicht gut. Hier müssen die Hersteller viel Verständnis für digitale Services mitbringen. Gegen ein Abo, das zusätzliche Leistungen bietet, die sich noch nicht in meinem Besitz befinden, haben sich die wenigsten etwas einzuwenden.

Der Kunde in den Fängen des Herstellers

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Das Gefühl, dem Hersteller hilflos ausgeliefert zu sein. Mit den falschen Abomodellen kann der Eindruck entstehen, es würde uns etwas weggenommen werden, das wir schon bezahlt haben. Je nach Gutdünken könnten dann ja vielleicht auch noch ganz andere Dinge im Auto wieder abgestellt werden.

Kein Wunder, dass wenige Tage nach der Ankündigung von BMW erste Hacker versprechen, die Sitzheizung auch ohne Abo freischalten zu können.

Ein Auto gehört uns nur so halb

An dieser Stelle sollten wir uns die grundsätzliche Frage stellen: Das Auto ist im Normalfall neben der eigenen Immobilie der teuerste Gegenstand, den wir kaufen. Bei einem Oberklasse-Modell ist das gerne mal ein sechsstelliger Betrag. Doch was gehört mir dann wirklich an diesem Gegenstand, wenn der Hersteller offensichtlich jederzeit bestimmte Funktionen (de)aktivieren kann. Die Hardware (vereinfacht gesagt „das Blech“) gehört dem Käufer, die Software, die im Auto eingesetzt wird, wird nur als Lizenz erworben. Bis heute wohl eine rechtlich nicht ganz klare Situation. Beim Erstkauf ist der Käufer nämlich offiziell Lizenznehmer, bei einem Weiterkauf wird die SW-Nutzung durch den dann unbekannten neuen Besitzer durch den Hersteller stillschweigend geduldet.

Was wollen wir eigentlich besitzen?

Da nähern wir uns schon dem Kern der Frage: Die Grenzen zwischen Besitz und Erwerb einer temporären Nutzung verschwimmen. Genau an dieser Stelle lohnt sich wieder ein Blick nach vorne in das Jahr 2030. Vielleicht ist die Vorstellung von einem Auto als Besitz nicht mehr zeitgemäß. Wir erwerben ja auch keine CDs mehr oder haben Videokassetten im Schrank stehen. Wäre das autonome Fahren Realität, würde ich morgen mein Auto verkaufen und für meine Fahrten von A nach B das jeweils optimale Verkehrsmittel per App nutzen.

Die Disruption des Automobils ist da

Wie wahrscheinlich ist ein solches Angebot? Spoiler: Schweden hat es schon, wenn auch noch ohne das autonome Fahren. Auch hier gilt: Technologien und Themen überlagern sich. Innenstädte verändern sich auf vielen Ebenen. Der stationäre Handel verliert an Bedeutung, das Erlebnis Innenstadt verändert sich. Der Klimawandel zwingt Metropolen dazu, das Auto zu verdrängen, um mehr Platz für Grünflächen zu schaffen. Das Digitale ermöglicht eine flexible Kombination von Verkehrsmitteln, das Auto als individuelles und einziges Transportmittel verliert an Bedeutung. In Singapur, die Stadt die immer wieder in den Rankings der lebenswertesten Städte der Welt vorne liegt, können sich die wenigsten ein Auto leisten. Vermisst wird es nicht, denn es gibt Alternativen. In Amsterdam und Barcelona lässt sich ähnliches beobachten.

Für die Automobilhersteller bedeutet das: Wer die Software beherrscht, wird auf diesem Markt erfolgreich sein. Es geht nicht mehr (nur) um das Automobil, sondern darum, die Fahrt zu einem Erlebnis zu machen und ein Ökosystem von Partnern aufzubauen.

Von der Zukunft aus denken

Da ist sie wieder – die größte Herausforderung unserer Zeit: Wir müssen uns eine Welt vorstellen können, die ganz anders ist als alles, was wir kennen. Die Zeit der trägen Massenmärkte ist vorbei. Gerade für die tayloristisch geprägte Automobilindustrie eine riesige Herausforderung. Die komplexe digitale Welt braucht nämlich keine zentrale Steuerung mehr, sondern eine verteilte Verantwortung mit mehr Selbstorganisation. Tesla macht es vor. Agilität ist kein Buzzword mehr, sondern eine Frage der Überlebensfähigkeit.

Digitalisierung verändert. Alles.