Wer etwas über das Wesen des Digitalen lernen möchte, sollte sich der Kunstwelt zuwenden. Die ist gerade ordentlich im Aufruhr. Waren es 2021 die NFTs, die Künstlern neue Möglichkeiten boten, ist es 2022 „Text-To-Image-AI“. Einen schnöden Text wandeln Maschinen nun in „Kunstwerke“ um. Heißt konkret: jeder von uns kann nun ein Bild à la Edward Hopper, Andy Warhol oder Leonardo da Vinci zaubern. Das mit den Möglichkeiten würden deshalb nicht alle Kunstschaffenden unterschreiben.
Der Aufschrei in der Kunstwelt ist groß
Genau deshalb hält sich die Begeisterung großer Teile der Kunstwelt in Grenzen. Vielmehr wird über eine inflationäre Bilderflut geklagt. Die Software wurde mit 5 Milliarden Bild/Text-Kombinationen von LAION trainiert. Ein Großteil der Bilder stammt von Pinterest. Einige Künstler beklagen, dass ihre Urheberrechte nicht gewahrt wurden, weil ihre Bilder dort ohne ihre Zustimmung von Dritten veröffentlich wurden. Damit waren sie Basis für die Erschaffung neuer Bildwelten, mit der das Internet seit dem 22.August geflutet wurde. Unzählige Menschen stürzten sich auf die OpenSource Software „Stable Diffusion“, die niederschwellig über einen Browser von jedem von uns getestet werden kann. Die rechtliche Situation dürfte wohl noch weitgehend unklar sein, denn mit Test-To-Image AI werden ja keine Kopien erstellt, sondern neue Varianten durch unendliche Kombinationen von eigenen Bildern und Designmerkmalen vorhandener Künstler.
Unendliche Reproduzierbarkeit
Das Kopieren von Bildern ist zudem nichts Neues. Schon Andy Warhol hat behauptet, er schaffe keine neuen Kunstwerke, es seien alles Kopien bereits vorhandener Grafiken oder Fotos. Mit dem Internet sind die Zahl der Mona Lisas, Edward Hoppers und Co wohl ins Unendliche gewachsen. Hier schließt sich der Kreis zu den NFTs, wenn wir an die Diskussion um den Sinn oder Unsinn digitaler Eigentumsnachweise von reproduzierbaren digitalen Bildern im letzten Jahr denken. Einige NFT-Enthusiasten freuen sich über jede Kopie ihres Werkes, dadurch wird der Besitz „des Originals“ noch wertvoller – wie ja schon die Mona Lisa zeigt. Nur wer kopiert wird, ist gut.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Mona_Lisa
Wieviel Eigenes steckt in einem Kunstwerk?
Es wird heiß diskutiert, wieviel „Neues“ in einem Kunstwerk vom Künstler stammt und wieviel durch Inspiration von anderen Künstlern stammt. Das Gleiche gilt ja auch für Designer. Niemand fängt bei Null an, wir alle sind mit Objekten von anderen Designern und Künstlern aufgewachsen. Wenn wir Menschen etwas Neues erschaffen, sind wir ja kein unbeschriebenes Blatt, sondern haben von anderen gelernt. Gleiches gilt übrigens für alle anderen Berufe. Wir stellen wieder einmal fest: Technologien lassen uns über Grundlegendes noch einmal neu nachdenken.
Wer hat ein Bild erschaffen?
Wie zum Beispiel die Frage: wer hat dieses Bild erschaffen? Was es ein Mensch oder eine Maschine oder beide? Genau diese Frage begegnet uns an vielen Stellen – sie ist zwangsläufig, wenn Maschinen dem Menschen immer ähnlicher werden. Wir werden künftig immer weniger sicher sein können, ob wir mit einem realen Menschen sprechen oder mit einem Bot. Die Sprachkompetenz von Maschinen ist mittlerweile so gut, dass der ehemaliger Google-Mitarbeiter Blake Lemoine ihnen eine Seele nachsagt. Die meisten Informatiker widersprechen – es ist einfach nur unfassbar gute Mustererkennung.
Bei Stable Diffusion sorgt ein für das menschliche Auge nicht sichtbares „Wasserzeichen“ für eine Kennzeichnung. Diese kann allerdings durch eine Änderung des Codes entfernt werden. Es wird spannend sein, wie sich dieses Thema weiterentwickelt. Das Thema „Deep Fake“ wird uns in diesem Kontext sicher noch sehr beschäftigen – heute soll es aber um die Kunst gehen.
Explosion an Kreativität
Wer der Reddit Community „Stable Diffusion“ folgt, bekommt einen Eindruck davon, welche Kreativität auf einmal freigesetzt wird. Als aktuelles Beispiel ein paar Bilder zu Ehren der Queen.
Quelle: https://www.reddit.com/r/StableDiffusion/
Es werden unfassbar viele neue Welten, Universen geschaffen, in denen Muster in einen neuen Kontext gebracht werden. Beispielsweise die grafischen Attribute eines Kirchenfensters auf einem Schuh, die Welten aus der „Herr der Ringe“ auf dem Mars – die Möglichkeiten sind unendlich.
Unendliche Möglichkeiten
Nicht erst seit Text-To-Image AI hat sich die Kunst neue Welten erschlossen. Künstler wie Rafik Anadol schaffen aus Daten neue Welten. Von ihm stammt die Frage „Können Daten zu Pigmenten werden?“ Er hat mit seinen Werken eine Antwort darauf gegeben.
Quelle: https://twitter.com/refikanadol/status/1262986060117630976?lang=en
Skulpturen neu denken
Wer sagt, dass Skulpturen nur aus Marmor, Glas, Ton, Gips .. bestehen können? Beim gerade zu Ende gegangenen Burning Man Festival wurde eine riesige Skulptur aus 1.000 Drohnen in den nächtlichen Wüstenhimmel von Nevada gezaubert.
Das New Media Studio Ouchhh schafft neue dreidimensionale Welten, wie sie nur das Digitale möglich macht: Die Gehirnströme von Musikern werden gemessen und auf einer riesigen Wand visualisiert während ihres Spiels. Raum und Klangwelten, wie wir sie nie zuvor erlebt haben.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wXNY29TIRRE&t=0s
Digitale Kunst bedeutet: Dinge neu in Beziehung bringen
Ouchhh hat mit der Astrophysikerin Dawn Gelino (die übrigens im Universum nach Leben forscht) eine Installation geschaffen, die die Daten der NASA Raumsonde Kepler visualisiert. F.A.S.Z.I.N.I.E.R.E.N.D.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=hADCzduty1Ev
Dieses Werk ist für mich so faszinierend, weil es das belegt, was auch außerhalb der Kunst das Wesen des Digitalen ist: Silos werden aufgehoben, unfassbar viel Kreativität wird freigesetzt, wenn Menschen nicht mehr in „Abteilungen“ arbeiten, sondern gemeinsam aus der Perspektivenvielfalt schöpfen.
Das Digitale ist hypervernetzt, der Turbo für die Kreativen
Refik Anadol, Ouchhh und viele andere haben verstanden, woraus die unendlichen Möglichkeiten des Digitalen kommen: wir sind nicht nur als Menschheit hypervernetzt, sondern die Welt ist es. Die Daten aus Milliarden Sensoren erlauben es uns, ein immer besseres Abbild der realen Welt zu erschaffen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und neue Welten zu erschaffen. Wir können heute nur erahnen, wie sich diese Kreativität im Metaverse entfalten wird. Die Visualisierung von Gehirnströmen von Musikern während eines Konzert geben uns eine erste Ahnung.
Dieser Beitrag soll ein kleiner Puzzlestein sein, um die Macht der Technologie zu erahnen. Es liegt an uns, diese zum Guten einzusetzen. Lasst und die Welt von der Zukunft aus denken, damit es gut für uns wird.
Digitalisierung verändert. Alles.
In diesem Video von mir seht ihr die beschriebenen Beispiele noch einmal live und in Farbe.