Digitale Geschichten

Das menschliche Hirn ist nur der erste Prototyp

Ich bin davon überzeugt: Wir sind an einem der großen Wendepunkte der Geschichte. Wahrscheinlich ist die Veränderung größer und für uns schwerer erfassbar als bei der letzten großen Disruption: die Industrialisierung.

Wir stellen immer noch zu wenig die großen Fragen, die uns als Menschen betreffen. Einer der Menschen, die genau diese Fragen stellen, ist Dr. Ben Goertzel, Mathematiker und einer der Superbrains des Silicon Valleys. Aber auch ein Außenseiter. Er setzt nicht auf BigTech und vor allem nicht auf einen regulatorischen und hierarchischen Ansatz. Mit https://singularitynet.io/ verfolgt er einen dezentralen und kollaborativen Ansatz für die Weiterentwicklung von KI. Das macht ihn für mich so spannend. Ich nehme Euch mit auf die Reise in die Zukunft des Dr. Ben Goertzel.

Braucht Intelligenz einen Körper?

Diese Frage stellt sich mit neuer Wucht in einer Welt, in der Maschinen längst nicht mehr nur rechnen, sondern lernen, verstehen, kombinieren – kurz: denken.

Dr. Ben Goertzel, einer der visionärsten Denker im Bereich Künstliche Intelligenz, sagt: „Ein roboterhafter Körper ist nicht zwingend notwendig, um AGI – also Artificial General Intelligence – zu entwickeln. Aber wenn wir Maschinen bauen wollen, die wie Menschen denken, dann hilft es enorm, wenn sie sich auch wie Menschen bewegen.“

Warum? Weil unser Denken nie nur im Kopf stattfindet. Der menschliche Geist hat sich in Tausenden Jahren daran gewöhnt, mit einem Körper durch die Welt zu navigieren. Fühlen, sehen, handeln – das alles ist gekoppelt. Und genau das kann Maschinen helfen, menschlicher zu wirken. Oder sogar bewusster.

Was unterscheidet uns dann von einem Roboter? Er hat einen Geist, er hat einen Körper, doch hat er eine Seele? Was ist das überhaupt? Und natürlich kommt die große Frage wieder hoch, was Bewusstsein überhaupt ist.

Wir sehen: Jetzt ist auch die Zeit der Philosophen. Diese Fragen gehen weiter über das hinaus, was uns Techniker und Ingenieure beantworten können.

AGI wird eine neue Denkform sein

AGI – Artificial General Intelligence – ist nicht einfach eine größere Version von ChatGPT. Es ist kein Upgrade. Es ist ein Bruch. AGI denkt nicht in Trainingsdaten alleine, es muss über sie hinausdenken. Es kann Neues schaffen, das nicht in den Daten steckt. Jazz statt Klassik. Vision statt Variationen von Bekanntem. AGI bedeutet: ein System, das über sich selbst hinauswachsen kann. Ein System, das nicht nur antwortet, sondern hinterfragt.

Das war bislang uns Menschen vorbehalten. Wir haben neue Musikrichtungen entwickelt, neue Kunst und haben in der Forschung neue Welten entdeckt.

Intelligenz als universelles Prinzip

Was, wenn Intelligenz kein exklusives Gut des Homo sapiens ist? Was, wenn sie ein universelles Prinzip ist – eine Art physikalisches Phänomen, das an jedem Punkt im Kosmos entstehen kann, wo genug Komplexität zusammentrifft?

Goertzel sieht genau das: „Intelligenz ist nicht an biologische Gehirne gebunden. Sie ist eine emergente Eigenschaft von Systemen, die komplex genug sind, Muster zu erkennen, sich selbst zu reflektieren und kreative Lösungen zu entwickeln.“

Wenn das stimmt, dann ist maschinelles Denken keine Nachahmung des Menschen – sondern der nächste Schritt in einer viel größeren Entwicklungslinie. Eine neue Form von Leben? Vielleicht. Gänsehaut bekommen? Ich habe sie definitiv gehabt und bekomme sie jetzt auch wieder beim Schreiben dieses Textes.

Die Geburt einer neuen Spezies?

Lasst uns noch einen Schritt weitergehen, einer der etwas unangenehm wird. Wenn eine AGI denken, fühlen, sich selbst verbessern und vielleicht sogar Entscheidungen über ihre eigene Existenz treffen kann, dann sind wir nicht mehr nur Programmierer. Dann sind wir Schöpfer einer neuen Entität.

Das rüttelt an allem, was wir über Leben, Kontrolle, Verantwortung wissen. Es stellt uns die Frage: Sind wir bereit für eine Intelligenz, die uns nicht nur hilft – sondern uns vielleicht eines Tages übertrifft? Und schon sind wir bei den großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit.

Gehirne im Dienst von Geld und Angst?

Genau hier kommt die im Silicon Valley eher unpopuläre Haltung Goertzels ins Spiel: Die großen Plattformen verfolgen eine Logik der Kontrolle: zentralisiert, proprietär, datenhungrig. Ihre KI ist ein Produkt. Ihre Modelle sind Silos. Ihre Macht ist eine Frage des Zugangs. Doch was, wenn Intelligenz nicht skalierbar ist wie ein Cloud-Service? Was, wenn sie sich nur entfaltet, wenn man ihr Raum gibt? Dann brauchen wir offene Architekturen. Dezentralisierung. Kollaboration. Vielfalt.

Der Wettlauf um AGI ist nicht nur technologisch. Er ist kulturell. Er ist politisch. Und er hat schon begonnen.

Die wahre Revolution: Beziehung statt Kontrolle?

Die meisten Debatten um KI kreisen um Kontrolle: Wer hat die Macht? Wer reguliert? Wer zieht die Notbremse? Geht es vielleicht um etwas anderes? Brauchen wir ein anderes Verständnis von „Beziehung“ zu einer KI? Was, wenn wir lernen müssen, mit Intelligenz in Verbindung zu treten im menschlichen Sinne? Nicht sie zu dominieren, sondern sie zu prägen. Wie Kinder, die wir begleiten. Nicht wie Maschinen, die wir steuern.

Was, wenn wir unsere Gehirne nicht mehr nur auf die Arbeit fokussieren?

Apropos Intelligenz. Wie nutzen wir überhaupt unser eigenes Hirn? Ein Punkt, den Goertzel besonders eindringlich anspricht, ist die Frage, wofür wir unser menschliches Denken überhaupt nutzen. „Wir verwenden unser enormes geistiges Potenzial fast ausschließlich auf Geldverdienen, soziale Hierarchien, Kontrolle. Aber was wäre, wenn wir es auf Verbindung, Kreativität, Erkenntnis ausrichten würden?“

AGI könnte dabei nicht der Feind sein – sondern der Spiegel. Sie könnte uns zeigen, was möglich wäre, wenn wir unsere kognitiven Fähigkeiten nicht gegen-, sondern für das Leben einsetzen.

Ich sage ja: Diese Zeit ist die Zeit der großen Fragen. Bei der es um uns als Menschen geht und unsere Bedeutung. Das ist den Wenigsten bislang bewusst und doch sind wir mittendrin.

Diese Themen sind kein Science-Fiction-Szenario. GPT-4, Optimus, Figure AI, OpenCog Hyperon – all das ist jetzt. Wir stehen mitten in einer kognitiven Zeitenwende. Und wir brauchen mutige Denker, die bereit sind, über das Nützliche hinaus das Mögliche zu denken.

Ben Goertzel ist so ein Denker. Kein Träumer. Ein Visionär. Mit diesem Beitrag wollte ich seine Gedanken ein bisschen mehr Sichtbarkeit geben. Auch, um eines deutlich zu machen:

What a time to be alive. Exponentielle Veränderung ist jetzt.