Vor ein paar Jahren stand ich in Tokio im Miraikan Museum. Schon damals war ein ganzer Bereich der Frage gewidmet: Wann akzeptieren Menschen einen Roboter in ihrer Nähe. Eine interdisziplinäre Aufgabe. Ingenieure, Philosophen, Psychologen und Soziologen haben sich dem Thema genähert. Die Frage hat enorme Bedeutung in einer alternden Gesellschaft, der die Arbeitskräfte mit immer höherer Geschwindigkeit ausgehen. Vielleicht wird sie zu einer kulturtechnischen Kernfrage.
Und genau dort beginnt die Geschichte von IRON, dem neuesten humanoiden Roboter des chinesischen Herstellers XPENG.
IRON: Ein Name wie Stahl – ein Körper ähnlich dem einer Frau
XPENG kennt man bisher als Automobilkonzern. 2014 gegründet, verfolgt das Unternehmen eine Strategie, die unverkennbar an Tesla erinnert: Elektromobilität, autonome Systeme, softwaregetriebene Fahrzeuge. Wer das beherrscht, besitzt auch die Kernkompetenzen für den nächsten Sprung: humanoide Robotik. Denn Roboter, die in der echten Welt agieren, brauchen genau die Fähigkeiten, die autonome Autos schon gelernt haben:
- hochentwickelte Sensorik,
- KI-basierte Steuerlogik,
- energieeffiziente Batteriesysteme,
- maschinelles Sehen,
- Echtzeit-Datenverarbeitung.
IRON bündelt das alles in einer Form, die plötzlich nicht mehr futuristisch, sondern verstörend vertraut wirkt. Der Name klingt nach Stahl und Muskelkraft. Der Körper hingegen: eindeutig weiblich mit sichtbaren Brüsten. Ein Alleinstellungsmerkmal. Tesla (Optimus) und 1X Technologies (NEO) vermeiden jede geschlechtliche Codierung. XPENG tut das Gegenteil.
Und die Bewegungen? Sie treffen mitten ins Uncanny Valley: 82 Freiheitsgrade (davon 22 pro Hand), bionische Muskeln, eine flexible Wirbelsäule, eine künstliche Haut, und eine Gangart, trainiert an tausenden Stunden menschlicher Videoaufnahmen. In ersten Demos musste XPENG sogar die Bein-Haut aufschneiden, um zu beweisen, dass kein Mensch darinsteckt.
Warum weiblich? Eine Entscheidung, keine Laune.
Die Führung von XPENG redet nicht herum. Liangchuan Mi (VP Robotik) und CEO He Xiaopeng sagen es offen: Je weiblicher ein Roboter wirkt, desto mehr Wärme, Vertrauen und Intimität entsteht. Das ist keine Spekulation. Die Forschung der Human-Robot-Interaction ist seit Jahren klar: Weiblich codierte Stimmen und Körper lösen weniger Bedrohung aus, mehr Nähe, mehr Kooperationsbereitschaft. Das ist kein Naturgesetz, sondern ein erlerntes kulturelles Muster. Und genau darauf setzt XPENG.
Geschäftlich übersetzt: Mehr Intimität = weniger Hemmschwelle = mehr Einsatzmöglichkeiten = mehr Verkäufe.
Und genau hier wird es interessant. Genau hier liegt der Stoff für Kontroversen.
Asien und der Westen: Zwei Welten, zwei Menschenbilder
Japan, Korea, China sind sämtlich Hightech-Gesellschaften mit rapide alternden Bevölkerungen. In Tokio im Museum wurde mir klar: Hier wird Technik nicht nur als Werkzeug gesehen, sondern als Sozialpartner, als selbstverständlicher Ersatz für fehlende menschliche Nähe. Für viele westliche Ohren klingt das fremd, obwohl wir vor denselben Herausforderungen stehen. Es ist unsere einzige Überlebensstrategie in einem alternden europäischen Kontinent.
Während wir im Westen über KI, Robotik und die Grenzen der Technik debattieren, fragen sich ostasiatische Länder: Wer soll die Arbeit sonst machen?
Der Elefant im Raum: Ist IRON ein Erotik-Roboter?
Klares nein. Es geht XPENG nicht um Sexualisierung. Es geht um Marktanteile im Service-Sektor: Hotels, Einzelhandel, Pflege, Empfang. Überall dort, wo der erste menschliche Impuls zählt: Kann ich mich diesem Wesen nähern? Wirkt es freundlich? Verstehe ich intuitiv, wie ich mit ihm interagieren soll?
Die weibliche Form wird damit nicht sexualisiert, sondern funktionalisiert. Und genau darin steckt der Kern des Konflikts.
Programmieren wir Rollenbilder in Hardware ein?
Hier beginnt die Diskussion erst richtig. Betrachten wir es aus verschiedenen Blickwinkeln, sachlich.
Form follows function
Wenn der Mensch das Referenzmodell ist, dann ist es logisch, dass Roboter aussehen wie….. Menschen. Und wenn Menschen weibliche Körper mit weniger Bedrohung verbinden, dann ist ein weiblicher Roboter eben „praktisch“.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet: Wenn ein weiblich codierter Roboter den Pflegenotstand lindern kann, ist das verwerflich oder erleichtern wir fragilen alten Menschen das Leben?
Der männlich geprägte Design-Blick
Die überwältigende Mehrheit der Entscheidungsträger in Robotik ist männlich. Das bedeutet nicht, dass jemand schlechte Absichten hat. Aber es bedeutet, dass die Norm aus einer Perspektive gesetzt wird, die nicht neutral ist. Wenn Frauen nicht im Designprozess sitzen, entstehen Biases nicht absichtlich, sondern automatisch.
IRON ist damit nicht nur Roboter, er ist ein Symptom einer männlich geprägten Technikwelt. In dieser Welt sind Frauen die dienenden, fürsorglichen Assistentinnen.
Die Technikgeschichte sollte uns zu denken geben
Wir haben schon immer Rollenbilder in Technik geschrieben:
- Weibliche Sprachassistenten: Siri, Alexa, Cortana – die sanften Helferinnen.
- Technikspielzeug: Boy-Tech (Konstruktion, Komplexität), Girl-Tech (Ästhetik, Kreativität, Glitzer).
- VR & Gaming: übersexualisierte Avatare in männlich codierten Perspektiven.
- Medizin & Sicherheitstechnik: getestet am „Standardmann“ mit 1.80 m Größe und 75 kg Gewicht, die Frauen sind der Sonderfall.
Als Ingenieurin weiß ich: Bias in Hardware ist kein Betriebsunfall. Er ist eine Form von eingefrorener Kultur.
Die eigentliche Frage: Was sagt IRON über uns?
Wenn ich ehrlich bin: Ja, ich glaube, ich würde einem weiblichen Roboter eher vertrauen als einem männlichen. Gerade, wenn ich hilflos wäre oder Pflege bräuchte. Wirklich beantworten können werde ich das erst, wenn ich wirklich in der Situation bin. Die Forschung ist in dem Punkt allerdings ziemlich eindeutig.
Dennoch sagt diese Reaktion nichts über Roboter. Sie sagt etwas über jahrtausendelange kulturelle Prägung. Und genau das macht IRON so interessant: Nicht weil er Brüste hat. Sondern weil er uns zwingt, uns selbst anzusehen. Denn wenn wir Maschinen menschlicher machen, legen sie im gleichen Moment offen, welche unserer eigenen Muster noch unbefragt, ungeklärt, unreflektiert sind.
Die Frage aller Fragen: Was macht uns als Menschen aus?
Die Roboter kommen. Schon in einigen Jahren werden die ersten Humanoiden Einzug in unsere Haushalte nehmen. Damit wird uns der Spiegel vorgehalten. Technik ist nicht nur ein Gegenstand, sie ist verdichtete Kultur. Was wir in Metall, Sensoren und KI hineinbauen, erzählt immer etwas über das Menschenbild dahinter.
What a time to be alive.