Digitale Geschichten

Teacher

Die Bildungsrevolution rollt. Warum wir aufhören müssen, Kinder auf eine Welt vorzubereiten, die es nicht mehr gibt

Seien wir ehrlich: Wer von uns hat nicht endlose Stunden in der Schule verbracht. An streng geordneten Tischen, mit Blick auf eine Tafel, die mehr abschreckte als einlud? Der Unterricht lief nach Schema F. Gleichförmig. Vorhersehbar. Langweilig. Statt Neugier zu entfachen, erstickte sie in Langeweile. Statt Fragen zu stellen, mussten wir Antworten auswendig lernen. Das, was wir bis heute als Bildung verstehen, ist in großen Teilen auf Funktionalität ausgerichtet. Wir werden geformt für die Anforderungen der Arbeitswelt. Diese verändern sich gerade grundlegend. Deshalb muss sich Schule anpassen.

Bisher gilt: Anpassung an Vorgaben. Wo wir noch nicht passen, holen wir uns Nachhilfelehrer. Leider gibt es nicht für alles einen Nachhilfelehrer. Es gibt Menschen, die können nicht lange stillsitzen, Hochsensible, Unsportliche oder welche mit sozialen Ängsten. Kurz gesagt: Für Besonderheiten gab es lange keinen richtigen Platz, denn die industrielle Welt brauchte Menschen, die man einschätzen konnte nach Mustern. Wer in Muster passte, für den gab es vorgegebene Karrierewege. Ich meine das völlig wertfrei. Das waren die Anforderungen der Zeit.

Individuelle Stärken erkennen statt Vorgaben erfüllen

Was dabei vergessen wurde: Individuelle Stärken zu erkennen. Stärken, die bislang noch keine Schule gefördert hat, die aber wichtiger werden: Vielleicht die Gabe, Streit schlichten zu können, in spannungsgeladenen Situationen mit einem Scherz die Agressionen verfliegen zu lassen.

Und was ist mit ganz neuen Fähigkeiten: Die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen? In unsicheren Situationen die Nerven zu behalten? Risiken einzugehen? All das brauchen wir alle ganz dringend in Zeiten rasender Veränderung. In denen die Wirksamkeit alter Herangehensweisen schneller dahinschmilzt als Gletschereis.

Eigentlich war und ist das Ziel von Bildung immer das gleiche: Sie soll uns fit machen für das Leben, auf die Arbeitswelt, auf das, was danach kommt. „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernst du.“ Ein Satz, den wir gehört haben, ohne ihn zu fühlen. Denn das, was uns dort erwartet hat, war selten Leben. Es ist ein System aus Stundenplänen, Einbahnstraßen und Erwartungshaltungen. Ein System, das vorgab, was wir zu lernen hatten. Wann wir es zu lernen hatten. Und wie wir es wiederzugeben hatten.

Das passt immer weniger. Denn wir werden viel zu selten eingeladen, zu denken.

Vielleicht liegt genau darin der größte Widerspruch unserer Zeit: Wir haben ein System erschaffen, das vorgibt, alle mitzunehmen und dabei zu viele zurücklässt. Weil es auf Standardisierung setzt, in einer Welt, die längst in Richtung Individualisierung schreitet.

Die Zukunft liegt im Erkennen der eigenen Besonderheiten

Denn das, was Kindern heute fehlt, ist nicht mehr Wissen. Mit Generativer KI kann ich es überall jederzeit abrufen. Es ist der Raum, der ihnen erlaubt, sie selbst zu sein, sich selbst zu erkennen. Mit ihren Stärken. Ihren Schwächen. Ihrem Tempo. Ihrem Weg. Aber das Alte kannte nur eine Richtung. Einen Maßstab. Ein Ziel. Und alles, was davon abwich, galt als Problem. Zu langsam? Förderbedarf. Zu schnell? Unterfordert. Zu laut? Verhaltensauffällig. Zu still? Übersehen. Doch was, wenn genau darin das eigentliche Lernen beginnt? Nicht im Anpassen. Sondern im Erkennen der eigenen Unterschiedlichkeit. Was wäre, wenn wir endlich aufhören würden, Menschen in ein Raster zu pressen – und anfangen, Bildung so zu gestalten, wie Menschen wirklich sind: unterschiedlich, vielschichtig, lebendig?

Die Veränderung kommt nicht aus den Kultusministerien. Sie kommt aus uns.

Und genau das passiert gerade. Still und gleichzeitig epochal. Ein Wandel, der nicht aus den Kultusministerien kommt, sondern von uns. Von den Nutzern Generativer KI, die sich plötzlich von einem Bot nicht nur eine Differentialgleichung erklären lassen, sondern für sich ganz individuell verstehen lernen, WOZU (!) sie das vielleicht einmal brauchen können.

Die Khan Academy

Einer der professionellen Vorreiter, der das neue Lernen voranbringt ist Sal Khan, Gründer der weltweit größten Lernplattform der Khan-Academy. Ein Visionär, der früh verstanden hat, dass Bildung nicht von Autorität lebt, sondern von Zugänglichkeit. Seine Botschaft ist klar: Mit KI kann jeder Schüler über sich hinauswachsen. Ein virtueller Tutor, der sich nie langweilt, der unendlich oft erklärt, der sich dem Tempo des Kindes anpasst – nicht umgekehrt. Khan sagt: Mit einem KI-Tutor kann ein unterdurchschnittlicher Schüler zum durchschnittlichen werden. Und ein durchschnittlicher zur Exzellenz. Und das ist kein leeres Versprechen. Das ist messbar. Denn wir haben heute etwas, von dem alle Generationen zuvor nur träumen konnten: Den eigenen Nachhilfelehrer. In der Khan-Academy heißt er Khan-Migo. Er hat immer Zeit, ist nie genervt. Kennt keine Silos. Wir können alles fragen. Er kann erklären, verknüpfen, Geschichten erzählen. Er kann den Apfelbaum zeigen – und je nachdem, was du fragst, erklärt er dir mit den Augen des Physiklehrer die Gravitation, biologische Reifeprozesse oder philosophische Betrachtungen unserer Wahrnehmung. Du kannst fragen: Warum fällt der Apfel? Aber du kannst auch fragen: Wozu soll ich das eigentlich wissen? Und plötzlich ist Bildung nicht mehr Pflicht. Sondern ein Gespräch. Ein Dialog mit der Welt.

Die Alemannenschule in Wutöschungen

Und nein, Technologie ist nicht die Lösung für alles. Es braucht einen ganzheitlichen neuen Blick. Schauen wir nach Wutöschingen in die Alemannenschule. Dort hat ein Rektor das getan, wovor viele zurückschrecken: Nicht reformiert, sondern revolutioniert. Stefan Ruppaner nahm eine auslaufende Hauptschule und formte daraus eine der innovativsten Schulen Europas. Aus der tiefen Überzeugung: Lernen muss sich am Menschen orientieren, nicht an Systemen. In Wutöschingen gibt es keine Klassenzimmer im klassischen Sinn. Die Schule wurde komplett umgebaut. Der Raum wurde zum dritten Pädagogen. Offene Lernlandschaften, stilles Lernatelier, Begegnungszonen wie der „Marktplatz“. Lernen passiert nicht auf Kommando, sondern im Fluss – im eigenen Tempo, im eigenen Stil. Neben der Tafel gibt es iPads. Statt Arbeitsblätter gibt es eine digitale Lernplattform mit offenen Bildungsressourcen. Statt starrer Stundenpläne: individuelle Rhythmen. Und ja – das geht. Weil es begleitet wird. Lehrer heißen hier Lernbegleiter, Schüler Lernpartner. Sprache prägt Haltung.

Ruppaner spricht von der Schmetterlingspädagogik. Ein Bild, das nicht nur schön ist, sondern tiefgreifend. Denn ein Schmetterling kann nur fliegen, wenn beide Flügel im Gleichgewicht sind. Der erste Flügel steht für Freiheit und intrinsische Motivation: Lernen aus eigenem Antrieb. Neugier als Antriebskraft. Selbstverantwortung statt Fremdsteuerung. Kinder wählen Themen, setzen Schwerpunkte, gestalten ihren Lernweg mit. Weil sie wollen, nicht weil sie müssen. Der zweite Flügel sorgt für Verbindlichkeit und Struktur: Lernbegleiter setzen klare Rahmen. Es gibt Ziele, Feedback und Reflexion. Freiheit ist kein Freifahrtschein, sondern Verantwortung. Freiheit ohne Verbindlichkeit führt zu Beliebigkeit. Verbindlichkeit ohne Freiheit zu Druck ohne Ziel. Nur im Zusammenspiel entsteht echter Lernerfolg. Die Schule hat daraus ein ganz eigenes System entwickelt: Ein Stufensystem vom „Starter“ bis zum „Lernprofi“. Wer Verantwortung übernimmt, bekommt mehr Freiraum. Lernprofis haben einen eigenen Schlüssel. Sie entscheiden selbst, wann, wo und wie sie lernen. Sie dürfen sich selbst organisieren – und tun es auch. Das ist keine Spaßpädagogik. Das ist radikale Entwicklung von Persönlichkeit in einem strukturierten, fördernden Rahmen. Und die Ergebnisse? Sprechen für sich: Der Abiturdurchschnitt ist besser als der Landesschnitt. Viele der Schüler hatten zuvor keine Gymnasialempfehlung. Was hier entsteht, ist nicht nur eine neue Schule. Es ist ein neues Verständnis von Lernen.

Codingschule 42

Noch einen Schritt weiter geht die Codingschule 42. Dort gibt es keine Lehrer, keine Stundenpläne, keine klassischen Prüfungen. Stattdessen: Peer-to-Peer-Lernen, echte Projekte, keine Professoren. Der Einstieg ist radikal: die „Piscine“. Vier Wochen Dauerstress, täglich zwölf bis sechzehn Stunden Code, oft auch nachts. Wer schwimmt, bleibt. Wer untergeht, scheidet aus. Nur ein Bruchteil schafft es, und genau das formt eine Gemeinschaft, die von Beginn an weiß, was Durchhalten bedeutet. Echter Härtetest statt Schulabschluß als Eintritt. Hier zählen deine Talente zum Programmieren, egal ob mit Abitur oder mit abgebrochenem Hauptschulabschluß.

Drinnen im eigentlichen Programm gleicht Lernen einem Spiel. Jeder startet auf Level 0. Projekte bringen Punkte, Punkte heben das Level. Wer weiterkommen will, muss nicht nur eigene Aufgaben lösen, sondern auch die Arbeit anderer bewerten. So entsteht ein Kreislauf von Geben und Nehmen, der Lernen zu einer gemeinsamen Erfahrung macht. Es fühlt sich an wie ein Spiel: Aufsteigen, neue Herausforderungen meistern, Rückschläge einstecken, sich gegenseitig helfen. Nur dass es hier nicht um Highscores geht, sondern um echte Kompetenz und fast immer auch um den direkten Weg in die Arbeitswelt. Die Absolventen von 42 sind sehr begehrt.

Was in 42 passiert, ist radikal. Peer-to-Peer statt Frontalunterricht. Projekte statt Prüfungen. Fehler als Teil des Fortschritts, nicht als Makel. Lernen im eigenen Tempo, aber nicht allein. Strukturiert, aber nicht bevormundet. Es ist exakt das, was auch Ruppaner meint, wenn er sagt: Lernen beginnt, wenn jemand Verantwortung übernehmen darf und dabei begleitet wird.

Was wir daraus lernen können? Dass der Wandel längst begonnen hat. Und dass wir ihn nicht länger auf die Ministerien, auf Richtlinien oder Reformpläne schieben dürfen. Denn es gibt sie längst: die Orte, an denen anders gelernt wird. Sie zeigen uns, wie die Zukunft aussehen kann. Egal, ob Wutöschingen oder 42: Die Prinzipien sind gleich: Beide Systeme sagen: Lernen ist kein Konsum. Lernen ist Gestaltung. Beide geben Verantwortung zurück an die Lernenden. Beide schaffen Räume – physisch wie digital – in denen Menschen wachsen dürfen. Beide vertrauen auf das, was oft unterschätzt wird: den inneren Antrieb. Die Motivation, die entsteht, wenn man das Gefühl hat: Ich darf. Ich kann. Ich gestalte.

SuperNova Heilbronn

Für alle, die solche Prinzipien an einem Abend oder einem halben Tag kennenlernen möchten: Margareta Jäger und ich haben die SuperNova HN ins Leben gerufen. Ein Experimentalevent von vier Stunden, das immer weitere Kreise zieht. Auch hier geht es um den inneren Antrieb, das Abenteuer, kurzen Impulsen, viel Austausch und Vernetzung. Hier schließt sich der Kreis zu 42, in deren Gebäuden wir in Heilbronn die kostenfreie öffentliche Variante von SuperNova HN durchführen. Wer will, ist dabei. Wer uns für sein Unternehmen buchen will, meldet sich bei uns.

Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieser Zeit: Bildung ist kein Versprechen mehr, das andere für uns einlösen müssen. Bildung ist ein Abenteuer, zu dem wir selbst aufbrechen dürfen. Supermacht Selbstwirksamkeit.

What a time to be alive.