„Wir wollen agil arbeiten“ – das sagt sich so leicht dahin. So fundamental wie Digitalisierung unsere Welt ändert, so fundamental müssen wir über unsere Arbeitsorganisation nachdenken. Die sogenannten agilen “Methoden” sind ja nur deshalb in aller Munde, weil sie nachgewiesernermaßen schnellere Ergebnisse in besserer Qualität liefern. Das passiert allerdings nicht “einfach so”, sondern nur deshalb, weil diese Ansätze mit fundamentalen Organisationsprinzipien brechen, mit denen wir alle sozialisiert wurden.
Änderungen sind Teil des Spiels, Projekte sind nur bedingt planbar
deshalb wird in möglichst kleinen Schritten gearbeitet. Scrum ist ein empirischer Ansatz. Konkret – wir wissen heute noch nicht alles, was wir zur Fertigstellung des Projektes wissen müssen. Lernen und Adaption von Änderungen während der Fertigstellung ist Teil der Umsetzung. Fahren auf Sicht sozusagen, statt langfristiger Strategieplanungen
Selbstorganisation
Es gibt keine Manager, Führungskräfte, Vorgesetzte mehr. Agile Teams arbeiten selbstorganisiert. Der Projektrahmen ist bekannt und wird kontinuierlich verfeinert und präzisiert. Gearbeitet wird in kleinen Schritten, Zeitrahmen und Umfang von Teilprojekten werden zwischen ausführendem Team und Projektverantworlichem ausgehandelt.
Transparenz ist Pflicht, Kommunikation ist Pflicht.
Jeder sieht, wer an welchen Aufgaben arbeitet, Änderungen in den Anforderungen sind für alle sofort erkennbar.
Erkennen Sie die tiefgreifenden Unterschiede? Wer agil arbeiten will, führt nicht einfach eine Methode ein wie er einen Prozess einführt. Er verändert tiefgreifend das Wesen der Arbeit: vom „Befehlsempfänger“, der „Zielvorgaben“ einzuhalten hat, zum Mitdenker, der aktiv das eigene Potential entfaltet und für das Unternehmen neue Möglichkeiten entwickelt. Die Basis für kreative aber oft auch unangenehme Querdenker, ohne die sich keine Organisation weiterentwickeln kann. Dies alles funktioniert nicht nach dem Prinzip „innere Emigration, sondern es braucht
Haltung& Werte,
die im agilen Manifest sogar konkret genannt sind: Respekt, Mut, Fokus, Offenheit und Pflichtbewusstsein.
Agilität ist die Antithese zur Hierarchie
Jeder der aufgeführten Arbeitsweisen ist einer Hierarchie fundamental entgegengesetzt. Die Hierarchie liebt die Planbarkeit: einer steht an der Spitze des Unternehmens und bewahrt den Überblick. Daraus resultieren langjährige Strategiekonzepte, die auf jede Abteilung und jedes Individuum herunter gebrochen werden. Jeder bekommt eine Teilaufgabe und das dafür nötige Wissen – Transparenz wird als hinderlich angesehen. Wenn alle einem großen Plan folgen, müssen Führungskräfte dafür sorgen, dass die Angestellten diesen vorschriftsgemäß umsetzen. So viel wie möglich wird in Prozessen abgebildet, damit bloß keiner vom vorgegebenen Weg abweichen kann. Die inneren Werte dieser Arbeitsweise sind: Gehorsam und Pflichterfüllung. Letzteres ist immerhin eine Gemeinsamkeit mit der agilen Welt. Dass diese Herangehensweise zu langsam geworden ist, wird immer mehr Menschen klar. Darum wird das Heil im Zauberwort “agil” gesucht.
Die Größe der Aufgabe wird meist unterschätzt
Glauben Sie aber bitte nicht, dass es mit ein paar Schulungen für Mitarbeiter (meist aus der IT) getan ist. Agil ist man entweder ganz oder gar nicht. Agile Inseln kommen schnell an ihre Grenzen – nämlich dann, wenn die Hierarchie wieder zuschlägt und agilen Teams etwas aufzwingen will, oder das Management außerhalb der agilen Welt langfristige Roadmaps sehen will, die die Illusion der Planbarkeit aufrecht erhalten sollen. Da kommt dann schnell Frust auf. Wie tief die Hierarchie in unser aller Denken verankert ist, zeigen schon die Begriffe aus der Welt der Arbeitsorganisation.
Die Vokabeln der Arbeitswelt bestimmen unser Denken
Führungskraft: Wendet sehr viel Energie auf, um anderen zu sagen, was sie tun sollen
Mitarbeiter: arbeitet mit. Eigeninitiative, Weiterentwicklung, Mut sind in diesem Begriff nicht enthalten
Sachbearbeiter: bearbeitet Sachen (ist hoffentlich nicht so unaufregend wie es sich anhört)
Angestellter: wird über das Gegenteil am deutlichsten -der Selbständige. Also Unselbständig, Befehlsempfänger
Vorgesetzter: Sitzt vorne (und im Weg?)
Abteilung: teilt ab und verhindert ZUSAMMENarbeit
Diese Vokabeln stehen – sieht man sie wortwörtlich – nicht gerade für Motivation und Freude an der Arbeit, oder? Und sagen Sie jetzt bitte nicht, so schlimm ist es ja gar nicht. Laut einer weltweiten Studie von Gallup sind in Deutschland 75 Prozent (!) der Arbeitskräfte in in der inneren Emigration. Dies ist eine ungeheure Verschwendung an Resourcen, die wir uns gar nicht leisten können. Und das Tückische daran: wir erkennen das Ausmaß der Ineffizienz gar nicht, weil alles mit Plänen und Prozessen zugekleistert ist. das kann uns manchmal das Hirn vernebeln.
Was also tun? Vertrauen aufbauen! Und zwar von allen Seiten.
Das Allerwichtigste: Vertrauen aufbauen – und zwar in alle Richtungen. Führungskräfte müssen spüren, welche schöpferische Kraft in den Köpfen der Menschen lauert -und auf welche Weise, sich Ihre Aufgaben ändern werden – vom Kontrolleur zum Trainer. Die „Mitarbeiter“ müssen spüren, dass die Führung einen echten Richtungswechsel anstrebt. Dies ist eine Reise, niemand soll glauben, dies geschieht auf Knopfdruck.
Nutzen sie die Möglichkeiten Ihres Intranets: Wagen Sie Transparenz. Fordern Sie zum Dialog auf und gehen Sie mit guten Beispiel voran.
Etablieren Sie ein modernes Ideenmanagement: Die Kreativität und das KnowHow der Menschen wird sichtbar. Es werden Chancen zur Potentialentfaltung gegeben. Die Menschen in Ihrem Unternehmen, die mehr wollen, werden Sie so erkennen. Und alle spüren den Geist der Veränderung und gelebte Partizipation.
Überdenken Sie Prozesse: alles was Geschwindigkeit, Servicequalität und Innovation verhindert oder verlangsamt, muss überdacht werden. Und zwar grundlegend.
Wenn Sie sich der Größe der Aufgabe bewusst sind, fangen Sie an, agil zu arbeiten. Und lassen Sie es zu, dass man Ihnen keine Roadmap für die nächsten 3 Jahre mehr präsentieren wird.