Digitale Geschichten

Der Vogel ist befreit? Twitter und die Zukunft von Social Media

Elon Musk hat Twitter übernommen. Seitdem ist #Musk ständig in den Toptrends. Bitte nicht weiterlesen, wenn Ihr jetzt eine Elon Musk Huldigung oder ein Elon Musk Bashing erwartet. Über Elon Musk möchte ich nämlich gar nicht sprechen, sondern über das, auf was es wirklich ankommt:

Wie können wir Social Media besser machen?

Wer die aktuellen Diskussionen über den Zustand von Twitter liest, könnte meinen, wir haben die bestmögliche Version und jede Änderung führt zu einer Verschlechterung des Zustandes. Lasst uns deshalb mal einen Schritt zurücktreten und uns anschauen und uns die wichtigsten Fragestellungen anschauen. Aus meiner Sicht sind das zwei große Themenblöcke. Der erste: Wir sind auch im Jahre 2022 das Produkt und nicht der Kunde.

Wir sind das Produkt und nicht der Kunde

Wir wissen es alle, trotzdem noch einmal zur Erinnerung: Social Media kostet uns kein Geld, der Preis für die kostenfreie Nutzung ist Information. Als Marc Zuckerberg vor dem US Congress ins Schwitzen kam, weil durch die Analyse von Facebook Nutzerdaten durch Cambridge Analytica so gezielt Wähler angesprochen wurden dass Wahlen dadurch entschieden werden können.

Wollen wir das? Wie werden wir zum Kunden? Die triviale Antwort: indem wir bezahlen. Doch war sind denn Services, für die wir bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen? Ist es wirklich ausgerechnet die Verifizierung? Der von mir sehr geschätzte Journalist Lars

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Quelle: https://twitter.com/LarsWienand/status/1587009617682366464?s=20&t=xBdK6CT8vWNgn-KgS35KwA

Wienand behauptet, Glaubwürdigkeit könne man sich nicht kaufen? Spontan habe ich erst einmal zugestimmt, beim weiteren Nachdenken mache ich aber mittlerweile ein Fragezeichen dahinter.

Der blaue Haken – bezahlen für Verifizierung?

Der blaue Haken hat zwei Funktionen. Die wichtigste: er verifiziert einen Nutzer als die Person, für die sie/er sich ausgibt. Damit kann ich mich darauf verlassen, dass die Informationen beispielsweise von Politikern und Journalisten auch tatsächlich von diesen stammen und nicht von einem Fake-Profil oder einem Bot.

Zur Bekämpfung von Fake News eine wichtige Aufgabe. Doch müssen sie deshalb für den Account wie selbstverständlich kostenfrei sein? Gerade Politiker von Obama über Selenskyi bis Christian Lindner oder Journalisten wie Nikolas Blome oder Jan Böhmermann vergrößern über Social Media ihre Reichweite enorm. Was ist solch ein Service in Euro oder Dollar gemessen wert? Sind diese Personen des öffentlichen Rechts wirklich nicht willens, dafür, dass ihre Follower sicher sein können, dass wirklich sie es sind, Geld zu bezahlen?

Und wir wäre es, wenn nicht nur die „Prominenten“ Nutzer einen Haken bekommen? Das führt uns nämlich zu einem wichtigen Aspekt der Verifizierung: Er schmeichelt dem Ego. Wer einen blauen Haken hat, ist wichtig. Wenn nun jeder beliebiger Nutzer diesen Haken bekommt, ist er dann weniger wert? Für die Prominenten sicher, für die Allgemeinheit ist eher das Gegenteil der Fall.

Angeblich wird Twitter überschwemmt von Bots. Über das Ausmaß wurde ja heftig gestritten. Wir wäre es denn, wenn jeder – also auch Nutzer wie du und ich – sich verifizieren lassen könnten? Damit würde ich belegen, dass ich kein Bot bin, auch das ist ein Wert – für die Gemeinschaft aller Nutzer, auch für die, die diesen Services nicht bezahlen wollen.

Die offene Frage ist, wie die Verifizierung genau aussehen wird

Nehmen wir einmal an, ich möchte meinen Account bei Twitter verifizieren lassen. Ist das mit einer Klarnamenpflicht verbunden? Viele haben Angst vor Hatespeech. Reicht es nicht aus, durch eine „Verifizierung light“ zu bestätigen, dass ich ein Mensch und kein Bot bin? Und wie genau weise ich das nach? Die Qualität der Verifizierung wird sicher eine Schlüsselrolle spielen.

Wenn es um die viel diskutierten 8 $ im Monat reden, dann geht es nicht nur um den blauen Haken, sondern über weitere Dienstleistungen. Wenn wir zum Kunden werden sollen, muss uns schon etwas geboten werden. Nach meiner Wahrnehmung viel zu wenig gesprochen wurde über einen Service, der das Spiel vieler Stakeholder im Social Media Game verändern könnte:

Eine neues Geschäftsmodell für Zeitungen?

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Quelle: https://twitter.com/elonmusk/status/1586059953311137792?s=20&t=xBdK6CT8vWNgn-KgS35KwA

Wie wäre es denn, wenn uns über das Bezahlmodell bei Twitter Zugang zu Artikeln verschafft würde, die sonst hinter einer Paywall liegen? Es ist ja nicht so, dass die meisten von uns nicht bereit wären, für Qualitätsjournalismus zu bezahlen. Nur nicht über unzählige Abos von allen Zeitungen, die uns interessieren, sondern ausgewählt nur für die Themen, die für uns individuell Relevanz haben.

Oder mit anderen Worten: Statt Abos von x-Zeitungen einfach ein Twitter-Bezahlaccount?

Statt Abos von x-Zeitungen einfach ein Twitter-Bezahlaccount?

Wenn es gut gemacht wird, könnte es eine Win-Win-Win Situation für Twitter, Nutzer und Medien sein. Die Zeitungen müssten dann nicht mehr für Google SEO schreiben, sondern tatsächlich wieder Qualität liefern. Die Zeiten von Klickbait könnten wir beenden. Das mag aktuell noch zu schon sein, um wahr zu werden, aber wer weiß?

Das könnte jedenfalls dabei herauskommen, wenn wir Nutzer der Kunde werden und nicht mehr das Produkt sind. Es hängt davon ab, wie interessant die Artikel sind, die uns dann in den News-Feed gespült werden. Mein Vorschlag: Lasst uns erst einmal abwarten, ehe wird uns schon wieder empören.

Kommen wir nun zum nächsten großen Problemfall von Social Media führt:

Die schwierige Balance zwischen dem Eindämmen von Fake News und der Meinungsfreiheit

Fake News sind eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Sie führen dazu, dass wir immer weniger sicher sein können, was wahr ist und was falsch. Wenn Menschen tatsächlich glauben, dass Wahlergebnisse gefälscht sind, stürmen sie das Kapitol – in der Überzeugung, das Beste für ihr Land zu tun. Eine reale Gefahr für die Demokratie. Die vielen Verschwörungserzählungen finden über Social Media rasante Verbreitung. Karl Popper hat schon 1945 mit dem „Toleranz Paradoxon“ erkannt, dass eine freiheitliche Gesellschaft sich durch ein Zuviel an Toleranz selber abschaffen kann.

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Andererseits ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut in einer freiheitlichen Gesellschaft. Darf man mir verbieten, zu behaupten die Erde sei eine Scheibe? Schließlich hat jeder das Recht, sich zum Deppen zu machen.

Maximale Transparenz beim Sperren von Inhalten und Accounts

Genau deshalb ist maximale Transparenz wichtig, wenn es um das Sperren von Inhalten oder von Accounts geht. WARUM wurde der Inhalt gesperrt und WER entscheidet darüber. Bei Twitter wird darüber nachgedacht, ein Gremium einzurichten, das zusammengesetzt ist aus Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen. Dieses Gremium wird sich sicher nur um die wirklich kritischen Fälle kümmern können. Entscheidend wird auch sein, dass nachvollziehbar wird, WARUM Account gesperrt werden. Transparenz ist hier das entscheidende Kriterium. Ich bin sehr gespannt, ob Twitter hier etwas ändern wird.

Am Endes Tages entscheiden wir, die Nutzer

Am Ende des Tages entscheiden wir die Nutzer, ob eine Plattform Erfolg hat oder nicht. Durch die Übernahme kommt wieder Bewegung in die etwas eingeschlafene Diskussion, wie Social Media Plattformen aussehen müssen, damit sie gut für uns sind.

Ob Elon Musk Twitter neu erfindet oder dessen den Untergang einläutet, wird sich zeigen. Am Ende des Tages geht es nicht um Elon Musk, sondern ob wir als Menschheit die Reife haben, die Urgewalt Social Media so zu zähmen, dass sie nicht zum Untergang freiheitlicher Gesellschaften wird. Und wer weiß – vielleicht erlebt ja eine neue Social Media Plattform ihren Durchbruch, die auf Basis des Web 3.0 die Regeln noch einmal neu definiert. Wir werden es erleben.

Digitalisierung verändert. Alles.