Mein Jahr 2020 hat mit zwei Geschichten begonnen, die mich berührt und in meiner tiefen Überzeugung von der Kraft des vernetzten Arbeitens bestätigt haben.
Nach fast 20 Jahren Erfahrung im Consulting rund um Zusammenarbeit, digitale Transformation und Umgang mit Wandel sollte man denken, mich kann nichts mehr erschüttern. Ist aber nicht so. Es macht mich immer noch betroffen, wenn ich mit Mitarbeitern gerade von großen Unternehmen spreche, die als Ikonen von “New Work” gelten. Selbst dort nehme ich an manchen Stellen das hohe Ausmaß der inneren Emigration wahr. Konkret denke ich an einen hochqualifizierten, engagierten und hoch bezahlten Mitarbeiter (nennen wir in Jakob), der seit Jahren in immer den gleichen Themen feststeckt und sich danach sehnt, mal etwas anderes zu machen – Jakob hatte sogar schon ein bestimmtes Thema im Sinn. “Dann sprich doch mal mit den Kollegen. Sie sind ja nur ein paar Klicks entfernt – Du hast alle Werkzeuge, die Du brauchst, direkt vor Dir – am Schreibtisch.” Er sah mich verständnislos an. Dazu später mehr.
Neue Welten sind nur ein paar Klicks entfernt
Wechseln wir die Szenerie:
In bin in vielen Netzwerken und vor etwa anderthalb Jahren suchte eine Frau – nennen wir sie hier Martha – online um Rat, weil sie in eine berufliche Sackgasse geraten war – fast der Klassiker: Durch Erziehungszeit ins Abseits geraten. Wir kannten uns nicht, ich bot ihr ein Gespräch an und wir haben dann zwei Stunden telefoniert, wir waren uns sofort sympathisch. Eigentlich habe ich Martha “nur” Mut gemacht, wir haben über ihre Stärken gesprochen und ich habe ihr geraten, sich einfach mal in alle Richtungen zu vernetzen und dann schauen, was passiert. Und ein wenig Geduld haben.
Vor einer Woche – mehr als ein Jahr später – landete dann eine Mail in meiner Inbox, deren Absender mir zunächst nichts sagte. Es war ein langer und bewegender Text von Martha und sie erzählte, wo sie heute arbeitet: Eine tolle Position, spannende Aufgaben und umgeben von Leuten, die zu ihr passen. Die Mail endete mit “Ohne unser Gespräch, wäre ich immer noch da, wo ich vor anderthalb Jahren war”. Da konnte ich ein paar Tränen nicht unterdrücken. Damit hatte selbst ich nicht gerechnet.
Richtung bestimmen statt fixen Zielen hinterher zu hecheln
Vergleicht man die beiden Geschichten, war die Ausgangssituation von Martha faktisch viel schlechter. Sie arbeitete nicht in einem renommierten Unternehmen und hatte keinen glänzenden Lebenslauf. Jakob hatte sogar schon eine konkrete Richtung, in die er sich entwickeln möchte. Trotzdem verharrte er in Stagnation. Warum ist Martha schon so viel weiter gekommen? Weil sie die Mechanismen der Selbstwirksamkeit erkannt hat.
Erster Schritt: Die eigenen Stärken erkennen
Der erste Schritt ist die Selbstreflektion. Die eigenen Stärken erkennen. Das sagt sich immer so leicht. Ich habe gelernt, dass wir alle gar nicht mal so gut darin sind, zu erkennen, was uns besonders macht. Dies gilt übrigens auch für mich selber. Meist ist es das, was einem leicht fällt und deshalb nicht als “besonders” von uns wahrgenommen wird. Wie kann man also seine Stärken erkennen? Meine gute Freundin Corinna Maag sagte mir vor nicht allzu langer Zeit: “Frage doch einfach mal ein paar frühere Kollegen, was sie an Dir geschätzt haben.” Als Sahnehäubchen hat Corinna mir direkt noch selber ein paar Eigenschaften von mir aufgezählt, die sie an mir schätzt. Ich war beseelt. Und hatte neue Energie. Die Antworten aus meiner kleinen Umfrage haben mir übrigens schon in vielen Akquisegesprächen geholfen. Ich kann sehr viel präziser benennen, was mich persönlich ausmacht und welchen Nutzen meine potentiellen Kunden davon haben.
Feedback einholen: Was macht mich aus?
Wenn Sie das lesen – was denken Sie? Spüren Sie Vorbehalte, andere nach den eigenen Schokoladenseiten zu fragen? Tja, Mut braucht es eben auch, um den eigenen Weg zu finden. Denn diese Fragen berühren eine persönliche Ebene, der wir oft im Berufsleben aus dem Weg zu gehen versuchen. Dabei liegt hier eine besondere Kraft.
Zweiter Schritt: Die Richtung vorgeben, fixe Ziele versperren oft den Blick auf die vielen Möglichkeiten des Lebens
Wer seine Stärken kennt, kann für sich eine Richtung vorgeben. Im Falle von Martha also kein konkreter Arbeitgeber, vielleicht noch nicht einmal eine bestimmte Branche, sondern Attribute der Arbeit. Ein paar Beispiele:
- mit Menschen arbeiten
- Sprachkompetenz (mehrere Fremdsprache) anwenden können
- Projekte, die analytische Denkweise erfordern
- offene Arbeitskultur, ein vertrauensvolles Miteinander
Was spricht gegen ein konkretes Ziel? Weil das “Traumunternehmen” vielleicht gerade niemanden einstellt und man dann sofort wieder in Resignation und Stagnation verharrt. Der Schlüssel ist, offen zu sein für Möglichkeiten, die wir heute noch gar nicht kennen.
Dritter Schritt: Absichtslose Vernetzung
Hört sich nach Widerspruch an, richtig? Ich habe ja eine Absicht – ich möchte eine neue berufliche Herausforderung annehmen. Es ist allerdings meist so, dass wir am Anfang eines Kontaktes noch gar nicht wissen können, was sich daraus ergibt. Spürt man beim Gegenüber eine gewisse Resonanz, ist das eine gute Grundlage. Denn Menschen, mit denen wir eine Verbundenheit spüren, unterstützen wir gerne. Dies ist übrigens keine Einbahnstraße – wir brauchen eine grundsätzlich unterstützende Haltung und zwar unabhängig davon, ob ich von dem anderen etwas wiederbekomme. In einem wertschätzenden Klima gleicht sich das schon aus.
Und ja, es wird nicht sofort ein Wunder geschehen – die dauern manchmal etwas länger. Trotzdem lehne ich mich jetzt so weit aus dem Fenster, Ihnen zu versprechen, dass über kurz oder lang etwas Gutes passieren wird, wenn sie sich Menschen öffnen und sich zeigen.
Sie haben die Werkzeuge vor sich liegen – fangen Sie an.
Noch nie war es so leicht, sich zu vernetzen. Im Grunde mit der ganzen Welt, zum Beispiel über LinkedIn oder – im Beispiel von Jakob “nur” mit allen Kollegen im Unternehmen über den “Digital Workplace”. Die Software, die sie einsetzen, ist dabei egal: Wichtig ist, Sie finden die Kollegen, die an Themen arbeiten, die Ihnen wichtig sind. Laden Sie sie einfach mal zum gemeinsamen Mittagessen ein oder auf eine Videokonferenz oder als ersten kleinen Schritt – beschäftigen Sie sich mit den Inhalten, die diese Kollegen teilen. Wenn Ihnen etwas gefällt oder Sie etwas ergänzen können, teilen Sie es mit.
Werden Sie sichtbar als der Mensch, der sie sind
Mit anderen Worten: Teilen Sie Ideen, stellen Sie Fragen, teilen Sie Ihr Wissen. Sie werden den passenden Kollegen auffallen. Und wenn andere Ihnen geholfen haben, sagen sie öffentlich “danke” – im Profil desjenigen, für alle sichtbar. Sprechen Sie einfach mal aus, welche Eigenschaften Ihnen bei anderen gefallen – sie werden feststellen, das Klima wird ein bisschen milder für alle.
Wer nicht weiterkommt, sollte einfach mal sein Netzwerk fragen
Beenden möchte ich diesen Text mit einer dritten Geschichte über Christian Tratter. Sie zeigt kristallklar, dass wir alle gemeinsam viel mehr erreichen können als alleine.
Christian hat auf LinkedIn sein Netzwerk gefragt, wie er als Freiberufler sein Angebot am besten beschreiben kann und hat seinen Entwurf geteilt, weil er mit seinem Text noch nicht zufrieden war. Das Ergebnis: 67 meist hochqualifizierte Kommentare, oft von Spezialisten, die ihr Wissen gerne teilen. Davon hat nicht nur er selbst profitiert, sondern alle aus seinem Netzwerk. Besser kann man den Mehrwert von transparentem Arbeiten nicht beschreiben.
Gemeinsam entwickeln wir uns als Individuen am schnellsten weiter und entdecken das Meer der Möglichkeiten
DIe Geschichte von Christian Tratter habe ich übrigens Jakob gezeigt. Er wollte mir nämlich nicht glauben, dass Menschen “einfach so” anderen – vielleicht sogar unbekannten Personen – Ihr Wissen teilen. Warum? Weil es einem selber gut tut, anderen zu helfen. Und es ist eine schöne Gelegenheit seine Kompetenzen zu zeigen.
Das Jahr 2020 hat erst gerade angefangen und es hat mir einmal wieder gezeigt, zu was das Wunder Mensch in der Lage ist. Seien Sie offen und wertschätzend zu sich und zu Ihrer Umgebung – Sie werden sich wundern, wohin Sie das bringt.