Gibt es noch einen Vorstand, oder Geschäftsführer, der kein KI-Projekte angestoßen hat? Wohl wenige. Meist wird sie eingesetzt wie ein weiteres Tool und nicht wie ein Gamechanger. Wenn sich das Spiel verändert, gelten neue Regeln. Die unbequeme Wahrheit: Nicht die Anzahl der KI-Projekte entscheidet über Erfolg oder Misserfolg, sondern das Tempo an Innovation – Umsetzung von Ideen in Projekte in Wertschöpfung. Dann – und nur dann – ist eine Organisation überlebensfähig. Wer KI in alten Mustern denkt, minimiert nur den Kontostand.

Während KI-Modelle sich mittlerweile fast im Wochenrhythmus weiterentwickeln, ticken viele Organisationen noch im Quartalsdenken oder noch fataler in X-Jahres-Plänen. Strategien, die einmal von der Organisationsspitze beschlossen werden und danach “in Ruhe” und “nach Vorgabe” abgearbeitet werden sollen, sind längst ein Anachronismus. Denn hochinnovative Unternehmen haben die Realität so schnell verändert, dass die Annahmen von gestern schon nicht mehr gelten.
Eine Studie der Harvard Business Review zeigt: Der Großteil der KI-Budgets fließt in Projekte, die Effizienz verbessern, nicht in Innovation. Warum? Weil es einfacher ist. Weil es alten Mustern folgt. Und weil es vielen Führungskräften erlaubt, so weiterzumachen wie bisher. Also mit höherer Geschwindigkeit in die Sackgasse zu fahren. Denn wer KI nur dafür einsetzt, bestehende Prozesse zu beschleunigen, handelt wie ein Verlag, der seine Print-Zeitungen mit Drohnen ausliefert.
Wer seinen Support-Bot nur einsetzt, um ein aktuelles Problem des Kunden zu lösen, springt zu kurz. Das ist Silodenken. Innovation bedeutet, Menschen als Ganzes zu sehen. Wer Kunden als Ganzes sehen möchte, darf ihn nicht in Silobrillen betrachten: Eine für den Vertrieb, eine für den Support usw. Damit beschränken wir die Möglichkeiten generativer KI. Das ist die oben beschriebene Zustellung einer Printzeitung per Drohne.
Allgegenwärtige KI erzwingt ein Update unserer Arbeitswelt. Das betrifft nicht nur Produkte – sondern die Art, wie wir entscheiden, lernen und führen.
Agilität wird zur Grundvoraussetzung
Statt Fünfjahresplänen braucht es Lernzyklen. Statt Silos: Teams, die selbständig (!) denken und handeln dürfen. Führung muss Tempo ermöglichen, statt es zu bremsen. Und die Fähigkeit zur Innovation – nicht zur Reproduktion – wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Ein Beispiel, das zeigt, wie radikal sich Arbeit verändern kann, kommt aus der Kosmetikbranche – genauer gesagt von Albert Invent. Dort haben Chemiker früher tage- und wochenlang im Labor gestanden, um neue Rezepturen zu entwickeln. Heute tun sie das in Minuten – nicht, weil sie schneller rühren, sondern weil sie die Kraft von Generativer KI nutzen.
Die KI-Plattform rechnet sich durch Millionen molekulare Kombinationen, testet Ideen digital und liefert sofort die besten Ansätze zurück. Was früher mühsam war, ist jetzt Spielwiese für Kreativität. Und das Beste: Die gewonnene Zeit wird nicht eingespart – sie wird freigelassen. Für echte Innovation.
Die Mitarbeitenden nutzen den neuen Freiraum, um personalisierte Pflegeprodukte zu entwickeln, die auf individuelle Hautbedürfnisse zugeschnitten sind. Produkte, die es ohne KI nicht gäbe – weil niemand sie je in dieser Form gedacht hätte. Hier wird deutlich: KI ersetzt nicht den Menschen. Sie entlastet ihn – und macht Platz für das, was uns ausmacht. Vorstellungskraft. Neugier. Schöpferkraft.
Technologie ist nicht das Problem. Trägheit ist es.
Die große Chance von Generativer KI liegt nicht in der Automatisierung des Bestehenden – sondern in der Neugestaltung des Möglichen. Doch genau das macht Angst. Denn es verlangt, Kontrolle aufzugeben und Verantwortung neu zu verteilen. Die Reflexe der Vergangenheit helfen nicht weiter. Wer KI implementiert, muss in Menschen Kreativität entfesseln, Mut. Neue Möglichkeiten werden nicht von Bürokraten (im Sinne der Haltung, nicht im Sinne von Verwaltung) entdeckt. Unternehmenskultur ist entscheidend.

Deshalb erzähle ich oft die Geschichte vom Truthahn: Er fühlt sich sicher, weil es warm ist im Stall und er jeden Tag gefüttert wird. Mit jedem Tag steigt sein trügerisches Gefühl für Sicherheit. Bis zum Abend vor Thanksgiving. Ähnlich geht es vielen Organisationen, die viele KI-Projekte anstoßen, die die Geschäftsmodelle von gestern effizienter machen. Organisationen, die weiter an alten Mustern festhalten, handeln wie dieser Truthahn: Sie verwechseln schneller Wiederholung mit Sicherheit. Die Papierzeitung mit Drohnenlieferung ist kein Schritt in die Zukunft.
Genau deshalb ist die wichtigste Herausforderung: Die gewohnten Denkmuster zu hinterfragen. Kritische Sichtweisen müssen nicht nur erlaubt sein, sondern erwünscht. Ein Prinzip, das viele erfolgreichen Digitalunternehmen vereint. Die Führungskraft als „Mr./Mrs. Know It All“ hat ausgedient.
KI verändert nicht nur Arbeit – sie verändert, wer wir in der Arbeit sind.
Shopify hat mit KI-basiertem Support die Zahl der Anfragen verhundertfacht. Die Support-Mitarbeiter haben sich weiterentwickelt. Gemeinsam mit Data-Analysten analysieren sie Muster, decken Ursachen auf, verbessern Prozesse und Produkte. Die Silo-Logik? Aufgebrochen. Und je mehr Routine automatisiert wird, desto bedeutsamer wird das, was bleibt: die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation.
Plötzlich brauchen Support-Mitarbeiter Fähigkeiten wie Empathie, Deeskalations- und Konfliktlösungskompetenz. Fähigkeiten, die Führung und Personalentwicklung bisher für viele Rollen vernachlässigt haben – aber jetzt unverzichtbar sind.
Ein nächster Entwicklungssprung zeichnet sich bereits ab: KI-Agenten.
Veränderung ist kein Übergang, sie ist das neue Normal. Organisationen adaptieren gerade Generative KI, da steht schon der nächste Entwicklungssprung an: KI-Agenten. Während bisher viele Anwendungen darauf beschränkt waren, Informationen bereitzustellen, beginnt KI jetzt zu handeln – sie bucht Reisen, füllt Formulare aus, steuert Prozesse. Diese neue Autonomie verändert die Arbeitslogik, das Verständnis von Arbeit noch mehr.
Wir erleben es hautnah: Es gibt keine Blaupausen mehr. Wir lernen beim Tun. Wer meint, vorher Top-Down Umsetzungspläne ausarbeiten zu können, denen alle folgen, hat schon verloren. Was wir brauchen, sind Prinzipien: Orientierung statt Vorschrift. Räume statt Routinen. Denn: Die Geschwindigkeit der Entwicklung lässt keinen Stillstand zu – und kein Plan überlebt den ersten Praxistest.
Lernen wird zur Kernkompetenz. Aber nicht im klassischen Sinn – sondern als Fähigkeit, beim Tun zu reflektieren. Zu vernetzen. Den gleichen Fehler kein zweites Mal zu machen. Organisationen, die auf Kontrolle setzen, verlieren. Diejenigen, die Fehler zulassen, Muster erkennen und ihre Systeme fortlaufend justieren, gewinnen.
Wir stehen nicht vor einer weiteren Optimierungsrunde. Wir stehen am Beginn Arbeit neu zu definieren.

Führung im KI-Zeitalter heißt: Das eigene Menschenbild reflektieren
Führung war noch nie so wichtig wie heute und noch nie so herausfordernd. Denn sie bedeutet, sich selbst und die Organisation gleichzeitig zu entwickeln, neu zu erfinden. Die besten Führungskräfte der Gegenwart sind keine Kontrolleure, sondern Möglichmacher. Hört sich wunderbar an, oder? Ist aber eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Weil sie ein anderes Menschenbild erfordert. Wer als Führungskraft Möglichmacher sein möchte, muss den Mantel des Kontrolletti für immer an der Garderobe abgeben. Deshalb ist die wichtigste Führungsaufgabe: Selbstreflektion und Veränderungswille.

Denn eines ist sicher: Generative KI verändert die Spielregeln. Aber ob sie unser Spielfeld kleiner oder größer macht – das entscheiden wir.
Jetzt.