Digitale Geschichten

MITSUtdieHeader

Laut MIT-Studie macht Generative KI dumm. Warum das nur eine dumme Ausrede ist.

Die Studie des MIT geistert gerade durch Social Media mit dem Tenor: „Seht ihr, die Forschung bestätigt jetzt, dass die Nutzung von KI uns alle verblödet.“ Mein Verdacht: Alle, die Angst davor haben, durch KI ersetzt zu werden oder generell Technologie ablehnen, haben jetzt eine Steilvorlage für eine akzeptierte Ausrede nach dem Motto: Ich denke noch selbst.

Schauen wir zunächst einmal, wie der Test überhaupt durchgeführt wurde:

Die Testdurchführung:

Stell dir vor, 54 Studenten von fünf Top-Unis in Boston schreiben kleine Prüfungsaufsätze, ähnlich wie beim SAT. Drei Schreib-Durchgänge je 20 Minuten: Nur ChatGPT-4o: Sie tippen ihre Fragen in den Chat und übernehmen, was die KI ausspuckt. Nur Google-Suche: Sie googeln wie gewohnt, keine KI-Antwortbox, nur Links. Ganz ohne Hilfsmittel: Stift, Kopf, Papier, sonst nichts.

Vierter Durchgang (nur 18 Leute), Rollentausch: Die Gruppe, die davor nur mit ChatGPT gearbeitet hat, muss jetzt ohne jede Hilfe schreiben. Die „Nur-Kopf-Gruppe“ bekommt plötzlich ChatGPT an die Seite.

Gemessen wird die Hirnaktivität: Allen wird eine Haube mit 32 Elektroden (EEG) aufgesetzt. So sieht man, wie stark ihr Gehirn arbeitet. Kurz gesagt: Man wollte prüfen, wie sich verschiedene Werkzeuge – KI, Google oder gar keine Hilfe – auf das Denken, das Schreiben und die Gehirnaktivität der Studenten auswirken.

Kritik:

  • Mikro-Stichprobe: 54 Personen aus einer hochselektiven Bildungsblase sind kein Abbild der Lernrealität; Session 4 basiert gar nur auf 18 Fällen.
  • Aufsatz-Sprint statt Alltag: 20-Minuten-SAT-Texte (US-amerikanischer Aufnahmetest für Colleges) erfassen weder iterative Recherche noch kollaboratives Schreiben – die typischen KI-Workflows vieler Wissensarbeiter.
  • Werkzeug-Design: Die LLM-Gruppe durfte ausschließlich ChatGPT in einem leeren Chat-Fenster nutzen, keine ergänzenden Notizen, keine eigenständige Gliederungstools. Das provoziert Copy-Paste, nicht Co-Creation.
  • Keine Zielsetzung auf Erkenntnisgewinn: Das Versuchsdesign fokussierte ausschließlich auf die Produktion kurzer Aufsätze; es war nicht darauf ausgerichtet, Erkenntnis- oder Lernprozesse abzubilden.

Wer daraus ableitet, dass die Nutzung von Generativer KI die Gehirnleistung reduziert, hat nicht verstanden, zu was ein KI-Lernpartner genutzt werden kann. Die Studie ist kein Argument, Generative KI nicht zu nutzen. Es wurden nämlich ausschließlich Szenarien betrachtet, bei denen GenAI als reines Texterstellungstool genutzt wurde. Das ist sozusagen der Anwendungsfall für Anfänger. Im Alltag nicht zu empfehlen. Lassen wir uns nicht täuschen – die Frage ist nie die Technologie. Die Frage ist immer: Wie gestalten wir das Zusammenspiel von Mensch und Maschine?

Die falsche Abkürzung: Generative KI soll mir das Denken abnehmen

Sich im Alltag von diversen digitalen Tools unterstützen zu lassen, ist völlig legitim. Navigationsapps führen uns sicher durch das größte Verkehrschaos einer Metropole. Wir kommen hier auch nicht auf die Idee, wieder „selbst zu denken“. Warum? Weil wir dadurch den Weg zum Ziel unnötig verkomplizieren. Ähnliches gilt für Generative KI. Auch hier geht es darum, möglichst sicher zum Ziel zu kommen.

Was ist eigentlich das Ziel, wenn ich Generative KI nutze?

Die eigentliche Frage ist allerdings: Was genau ist das Ziel? Irgendeinen Text herauszuhauen oder etwas Exzellentes zu schaffen, das uns zu neuen Erkenntnissen auf dem Weg dorthin verholfen hat. Die Studie des MIT hat nämlich nur untersucht, was es mit unseren Gehirn macht, wenn wir einen Bot zum Verfassen eines Textes nutzen. Das springt viel zu kurz.

Ich gebe zu: Die Versuchung ist natürlich da. Ein Prompt, ein Mausklick, ein Text: fertig. Doch wer diesem Reiz blind nachgibt, verliert nicht KI-bedingt an Intelligenz, sondern durch eine selbstgewählte Komfortzone.

These: Bequemlichkeit ist der eigentliche Brain-Drain, nicht die KI.

Der richtige Weg beginnt deshalb dort, wo wir KI nicht zum Ersatz, sondern zum Erweiterungsorgan unserer kognitiven Muskulatur machen. Dann erleben wir nämlich kein kognitives Defizit („cognitive debt“ wird es in der Studie genannt), sondern erleben erweitern unsere intellektuellen Möglichkeiten. Wir trainieren das Denken.

Schauen wir uns ein paar konkrete Beispiele an aus dem wahren Leben. In meinen Workshops höre ich oft von Recruitern: Ich erkenne, ob Lebensläufe mit KI generiert wurden. Sie passen von der Sprache her überhaupt nicht zu den Bewerbern, sind nichtssagend und langweilig. Genau hier erkennen wir, wie es nicht geht.

KI muss unsere Essenz, das was uns als Mensch ausmacht, hervorbringen.

Sorry to say: Damit spart mir der Einsatz von KI keine Zeit, aber sie macht Exzellenz aus.

Bewerbung mit KI: – Radikale Selbstreflektion bevor überhaupt ein Lebenslauf erstellt wird

Nehmen wir ein Szenario, das jeder kennt: Die ersehnte Stelle wird ausgeschrieben. Früher bedeutete das: Bewerbungsvorlage öffnen, CV anpassen, hoffen auf Antwort. Heute kann ein Kandidat die komplette berufliche Geschichte – Erfolge, Brüche, Side Hustles, intrinsische Motive – in einen Custom-Bot laden und es gleichzeitig mit der Stellenanzeige füttern. Zusätzlich kennt der Bot durch viele Textbeispiele die typischen Sprachmuster und den individuellen Stil.

Was folgt, ist kein „KI schreibt Anschreiben“-Autopilot, sondern ein sokratischer Dialog:

  1. Glasklare Passform-Analyse Die KI bricht die Anforderungen in deine Kompetenzen herunter und spiegelt: Hier deckst du die Anforderungen ab. Hier hast Du Lücken und so könntest du sie schließen. So kannst Du im Gespräch offen und kompetent darüber sprechen.
  2. Ehrlicher Reality-Check Statt netten Floskeln liefert das Modell einen Finger in die Wunde: Du erwähnst Führungserfahrung, aber in Projekten fehlen Belege.
  3. Selbstreflexion in Echtzeit Mit jeder Rückfrage vertieft sich das Gespräch. Der Bewerber erkennt blinde Flecken, erinnert sich an Beispiele, die er sonst vergessen hätte und gewinnt ein glasklares Selbstbild.

Ergebnis: Noch bevor der Lebenslauf überhaupt geschrieben wird, hat der Kandidat nicht nur einen maßgeschneiderten Pitch, sondern eine neue innere Landkarte eigener Stärken und Entwicklungsfelder.

Richtig eingesetzt, wird KI das Denken nicht ersetzen, sondern trainieren.

Unternehmensanalyse: Kultur durchschauen, um zu entscheiden, ob eine Bewerbung überhaupt lohnt

Bleiben wir beim Thema Bewerbung, greifen aber tiefer. Die schönste Selbsterkenntnis nützt wenig, wenn die Firma gar nicht passt. Früher beschränkte man sich auf die Karriere-Seite und ein paar Glassdoor/Kununu-Bewertungen. Heute lässt sich per KI-Agent – eine Mischung aus Data-Miner und Story-Analyst – in kurzer Zeit Folgendes herausfiltern:

  • Tonality Tracker: Welche Wörter dominieren in LinkedIn-Posts, Quartalsergebnissen und Pressemitteilungen?
  • Value Graph: Wie oft tauchen Begriffe wie Nachhaltigkeit, Diversity, Innovation wirklich auf? Bleiben sie PR-Glitzi (danke an Claudia Feiner für die Wortschöpfung) oder stehen echte Projekte dahinter?
  • Sentiment Radar: Welche Stimmung herrscht in Entwickler-Foren, Twitter-Replies, Reddit-Threads?

Die Ergebnisse erscheinen visualisiert als Heatmap, und plötzlich wird klar: Die vermeintlich hippe Company kommuniziert old-school hierarchisch, während das Mittelstands-Scale-up nebenan eine Open-Source-Mentalität lebt, die viel besser zu mir passt.

Sokratischer Dialog: Passt das zu meiner Version von Zukunft? Erst, wenn diese Antwort stimmt, macht des Sinn, überhaupt mit der Bewerbung zu beginnen.

Richtig eingesetzt, hilft KI beim bewussten Entscheiden.

Die Stolpersteine

  • Prompt-Bias: Wer nur die eigene Meinung eingespeist, hört sie verstärkt zurück.
  • Komfort-Falle: Wer die KI nur Standardtexte erzeugen lässt nach immer gleicher Vorgabe, bewegt seine Synapsen so viel wie ein Staubsauger im Schrank. Dann kommt vielleicht so etwas heraus wie in der Studie beschrieben.

Fazit: Du hast die Wahl zwischen Fernbedienung oder Fahrersitz

Die Essenz lässt sich in zwei Sätzen destillieren:

  1. KI konsumieren heißt, passiv zu bleiben und kognitiv zu verkümmern.
  2. KI kultivieren heißt, Grenzen zu sprengen und Zinsen auf dein Denk-Kapital einzuzahlen statt „cognitive debt“ – also kognitives Defizit anzuhäufen.

Wir leben in einer Dekade, in der selbstfahrende Autos normal werden, Quantencomputing entwickelt wird und sich das Finanzwesen mit Blockchain rasant ins digitale Zeitalter entwickelt. Technologie rast und die Auswirkungen im Alltag mit. Die Frage ist: Rasen wir mit? Oder bleiben wir im Beifahrersitz und wundern uns, dass andere das Steuer übernommen haben?

Exponentielle Veränderung ist jetzt.