2020 gibt uns einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie unser Leben sich in den nächsten Jahren verändern wird: nämlich Richtung Unabsehbarkeit. Aufgaben meistern, in denen wir keine Erfahrung haben und wir nur grob abschätzen können, was genau passieren wird. Irgend jemand hat dies einmal mit einem Topf Spaghetti verglichen: Ziehen wir an einer Nudel, verschiebt sich das ganze System, aber wir wissen vorher nicht genau wie. Das ist Komplexität – Ursache und Wirkung sind nicht mehr linear und wir müssen in Systemen denken.
Ein paar Beispiele?
Denken in Systemen: Vom Homeoffice zur Stadtentwicklung…
Homeoffice wird bleiben, das zeichnet sich schon jetzt ab. Was bedeutet das? Gehen wir dann ins Büro, wenn wir Netzwerken wollen? Dann brauchen wir aber keine statischen 0815-Großraumbüros mehr, wo jeder einen fest zugewiesenen Platz hat, sondern Räume der Begegnung. Und daheim? Die wenigsten werden sich einen zusätzlichen Raum nur für das Arbeiten leisten können – brauchen wir dann im öffentlichen Raum Möglichkeiten zum Arbeiten? Im Café vielleicht? Oder etwas ganz Neues? Und was machen wir mit den überschüssigen Büroflächen? Auf einmal denken wir in Stadtentwicklung, obwohl wir gerade noch beim Homeoffice waren.
Apropos Stadtentwicklung: Wenn die meisten von uns nun nicht mehr 5 Tage pro Woche zum Arbeitsplatz fahren müssen, sondern künftig vielleicht nur noch zwei Tage und wenn es irgendwann einmal autonomen Fahrzeuge gibt, kann ich den Weg zum Büro sogar schlafend verbringen. Lohnt es sich dann vielleicht, von der Stadt aufs Land zu ziehen?
… vom eigenen Auto zur mobilen und urbanen Vielfalt?
Wie werden wir als Verbraucher ein autonomes Fahrzeug sehen? Wenn wir auf einen Fingertipp das für uns gerade passende Fahrzeug vor unsere Haustüre bestellen können (sei es ein Großraumvan für den Surfurlaub mit Freunden oder ein Cabrio für die Fahrt mit dem nächsten Date am Wochenende), macht es dann überhaupt noch Sinn, ein Auto besitzen zu wollen? Und ist es uns dann noch wichtig, wer der Hersteller dieses Autos ist oder sind dann ganz andere Aspekte wichtig? Da diese Fahrzeuge sehr viel stärker ausgelastet sein werden als unsere Privatfahrzeuge, die 95% der Zeit eh nur herumstehen, werden es insgesamt vielleicht sehr viel weniger sein. Vor allem, wenn wir es schaffen, ein integriertes Angebot aller Verkehrsmittel anzubieten. Wenn Autos aus der Stadt verschwinden, was machen wir mit den ganzen Flächen? Alleine in Manhattan nehmen Autos eine Fläche von der vierfachen Größe des Central Parks ein – was für ein enormes Potenzial für die Metropolen dieser Welt, die mit dem Klimawandel zu kämpfen haben.
Spüren Sie es, das Leben im Spaghetti-Topf? Man zieht an einer Ecke und schon bewegt sich das ganze System.
Das Ende der Schlaumeier
Denken in Systemen bedeutet auch, zu wissen, es gibt unendlich viele Facetten und Überlagerungen von Technologien und gesellschaftlichen Einflüssen. Eine Wahrheit gibt es nicht, die Welt ist bunt und jeder sieht von seinem Standpunkt einen anderen Winkel des Spaghetti-Topfes. Deshalb landen wir mit den Schlaumeiern, die schon die EINE Lösung gefunden haben und alles andere nicht mehr wissen wollen, in einer Sackgasse.
Zwischen Schwarz und Weiß sind noch jede Menge Farben
Wer mir folgt, weiß, wie sehr ich dem Zauber digitaler Netzwerke erlegen bin. Ich bin aber Realistin genug zu sehen, dass genau diese Netzwerke unsere Filterblasen verstärken und uns in unserer vorgefertigten Meinung bestärken. Je knackiger das Statement, je emotionaler, umso mehr Sichtbarkeit. Wir lesen 1000 Gründe, warum die jeweils anderen doof, ignorant, verblendet oder sonstwas sind. Wenn wir die Welt in ihrer Buntheit erkennen wollen, einfach mal tief durchatmen, die eigene Filterblase verlassen und auf die andere Straßenseite gehen. Schauen, wie die Welt von dort aussieht und versuchen, die Sichtweise der anderen wahrzunehmen.
Ja, das ist anstrengend, denn vielleicht fangen wir an zu zweifeln und erkennen, wie wenig wir wissen – da wären wir wieder am Anfang dieser Geschichte.
Bunt ist anstrengend, aber nur bunt bringt uns weiter
Konkret: Wenn sich Industrien überlagern, wenn digitale Technologien es möglich machen, dass klein & schnell groß & träge jederzeit schlagen kann, dann müssen wir systemisches Denken annehmen:
- Das “warum?” verstehen: Die Disruptionskraft digitaler Technologien verstehen (unverschämte Eigenwerbung hier: Folgen Sie mir, ich werde in den nächsten Monaten hier die wichtigesten Schlagworte für No-Nerds erklären)
- Aus dem Jahr 2020 lernen: Einfach mal machen, während des Tuns justieren
- Komplexität umarmen: Keiner kann alles verstehen (konnte noch nie einer, aber es wird immer offensichtlicher) – Vielfalt zulassen
- Die Organisationsformen der Industrialisierung weiterentwickeln: in Hierarchien wird es keine digitale Transformation geben – es ist also eine faktische Notwendigkeit, keine Weltanschauung.
Das Ergebnis: Aus dem Meer der digitalen Möglichkeiten schöpfen – und sich im digitalen Spaghetti-Topf wohlfühlen