Diese drei Tiere versinnbildlichen für mich das Wesen der digitalen Transformation.
Der Truthahn – die Welt, in der wir aufgewachsen sind
Viele werden sicher die Parabel kennen, die mir zum ersten Mal im Buch “Antifragilität – Anleitung für eine eine Welt, die wir nicht verstehen” begegnet ist: Würde man den Truthahn nach den Risiken in seinem Leben fragen, würde er sagen: “ich habe keine, mein Leben ist sicher. Täglich kommt ein Mensch und kümmert sich um alles, was ich brauche.” Das trügerische Gefühl der Sicherheit wird für ihn mit jedem Tag größer – bis zum Abend vor Thanksgiving – da tritt ein unerwartetes Ereignis ein, dass das Gefühl für Sicherheit fundamental erschüttert.
Wir befinden uns gerade in der Phase vor Thanksgiving – uns in Deutschland geht es gut, der Beschäftigungsgrad der Bevölkerung ist so hoch wie lange nicht mehr. Trotzdem ist es gerade jetzt wichtig, sich eine Welt vorstellen zu können, die ganz anders aussieht und sich entsprechend darauf vorzubereiten. Die Herausforderung ist also, nicht zum Truthahn zu werden. So wie damals bei Kodak – ich weiß, das Beispiel ist schon ziemlich breitgetreten. Es bringt die Aufgabe aber auf den Punkt: Es reicht nicht aus, die Digitalkamera zu erfinden und sie dann in der Schublade verschwinden zu lassen. Ich muss mir eine Welt vorstellen können, in der ich als Unternehmen keine Filmrollen mehr verkaufen werde und meine Welt entsprechend umbauen.
Das ist natürlich immer sehr leicht dahin gesagt. Geht es auch konkreter? Nehmen wir das autonome Fahren als Beispiel. Dies ist kein Produkt, das ich kaufen kann, oder eine einzelne Technologie, sondern ein Zusammenspiel von ganz vielen Faktoren und Technologien, deren Auswirkungen auf unseren Alltag noch viel zu selten thematisiert
werden. (hier dazu mehr). Wir wird diese Welt genau aussehen? Wir wissen es nicht! Aus Unternehmenssicht heißt das, ich muss mit Unsicherheit umgehen lernen – langfristige Strategiepapiere wird es nicht mehr geben. Den kaum sind sie geschrieben, hat die Welt sich schon wieder so verändert, dass sie überarbeitet werden müssten. Das Ziel ist es also, schnell und flexibel auf das, was da auch immer kommen möge, reagieren zu können.
Flexible Organisationen sind wie ein Bienenschwarm
Wenn der Truthahn für eine Welt steht, die sich nur langsam bis gar nicht verändert, dann ist das die klassische Hierarchie. Mitarbeiter bekommen Arbeitsanweisungen und müssen diese ausführen. Selbst denkende Mitarbeiter sind lästig und somit nicht erwünscht. Die Führung plant die Welt, die Organisation liefert die gewünschten erwartbaren Ergebnisse – wenn es gut läuft und niemand anders die Digitalkamera erfindet.
Wie ist das bei einem Bienenschwarm? Stellen Sie sich vor, man würde einer Biene eine Arbeitsanweisung geben, wann sie wo welche Blüte anzufliegen hat. Sie lächeln? Genauso handeln heute die meisten Führungskräfte. Dabei weiß die Biene von sich aus schon recht gut, wo sie den Nektar zu sammeln hat – ohne Prozesse und Management-Kontrolle. Wichtig ist, dass das Ziel bekannt ist. Das kann nicht funktionieren? Oh doch – das Beispiel von Buurtzorg wurde auf kontrollverlust-fm.de ja schon beschrieben. Ein Unternehmen wie ein Bienenschwarm – mit zufriedenen Menschen, die auch beim Eintritt ins Rentenalter noch freiwillig ein paar Jahre länger arbeiten wollen. Weil die Arbeit Sinn-stiftend ist, denn die Pflegekräfte werden wir Bienen behandelt – sie wissen, was zu tun ist und was gut für die Patienten ist. Weiterentwicklung erfolgt durch Einbeziehung aller – verschiedene Perspektiven und Erfahrungen helfen, Risiken bei der Transformation zu minimieren. Kann man als agiles Unternehmen Fehler vermeiden? Nein! Sie sind Teil des Spiels. In einer nicht vorhersehbaren Welt werden Fehler passieren. Die muss man akzeptieren – ein wichtiger Baustein der Unternehmenskultur. Kein Fingerpointing, sondern die sachlichen Gründe ausarbeiten, warum etwas nicht funktioniert hat und dann transparent für alle zugänglich machen. Damit alle lernen und Fehler nicht mehrfach gemacht werden. Diese Transparenz zu erreichen ist beim Wandel von der Hierarchie zum agilen Unternehmen besonders wichtig.
Wird das von selbst passieren? Nein! Menschen, die über Dekaden gelernt haben, dass eigenes Denken unerwünscht und Fehler den Job in Gefahr bringen, werden nicht auf einmal vor Ideen und Eigeninitiative sprühen, nur weil der Vorstand das gerade beschlossen hat. Diesen Wandel einzuleiten, ist Aufgabe der Führung. Und da kommt der Löwe ins Spiel.
Wenn aus den Lemmingen der hierarchischen Organisation eigenständig denkene Löwen werden sollen, muss die Führung selber erst zum Löwen werden. Und das geht anders, als jetzt viele vielleicht denken. Nämlich durch Authentizität! Konkret – Fehler eingestehen, zugeben, etwas selber nicht zu wissen und für Fehlschläge geradestehen. Nicht umsonst sind die Fuck-Up Nights zu einer weltweiten Bewegung geworden.
Fuckup-Nights – We live life without filter
Menschen zuzuhören, die sich auf eine Bierkiste stellen und über ihre Fehlschläge reden, hat etwas Inspirierendes und es macht Mut. Und die auf der Bierkiste machen die Erfahrung, dass Fehler zuzugeben (Transparenz) etwas ist, das Respekt einbringt und echtes Leadership ausmacht. Das macht anderen Mut, sich mit anderen Löwen auf die Jagd zu machen! Auch wenn die Beute mal entwischt, dann klappt es halt beim nächsten Mal.
Bewusstes Eingehen von Risiken ist der beste Weg um in der digitalen Welt des steten Wandels bestehen zu können. Oder um es mit den Worten von Thomas von Aquin zu sagen: (Danke @Ralph Siepmann für das Zitat.)