Digitale Geschichten

Wenn #ChatGPT auf deutsche Lehrer:innen trifft…

…entsteht ein magischer Tag.

Mein erster Workshop überhaupt mit Lehrer:innen und dann gleich das Reizthema ChatGPT. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich innerlich mit allem gerechnet. Spoiler: Es wurde wundervoll.

(Bemerkung vorab: Der nachfolgende Text beschreibt Konzepte zum Thema Bildung und Generative AI. Spezifische Ideen, Bemerkungen und persönliche Diskussionen von und mit den Teilnehmenden des Workshops werden natürlich nicht veröffentlicht.

Ausnahme: Die Stimmung. Die war einfach zu gut, um nicht darüber zu berichten.)

Die Häme der Medien vs. die Neugierde der Menschen

Warum war ich eigentlich so angespannt? Zum einen kenne ich persönlich so gut wie keine Lehrer:innen (konnte also deren generellen Mindset zum Thema #KI nicht einschätzen), zum anderen nehme ich über Social Media oder die klassischen Medien überwiegend herablassende Häme zum Thema „ChatGPT“ wahr. Auf der Fahrt zur Universität habe ich zufällig im Deutschlandradio eine Sendung zu dem Thema gehört. Fazit: „Alles nur Hype, alles nur Statistik.“ Ähnlich der Talk im Schweizer Rundfunk, der sich aus diversen Wissenschaftlern (Kulturwissenschaftlerin, Philosophen und Literaturwissenschaftler) zusammensetzte: Zitat „Der Bot ist ein stochastischer Papagei“. Ich gestehe, ich habe nach der Hälfte der Zeit abgeschaltet. Wäre doch wenigstens ein Data Scientist, Statistiker oder Mathematiker eingeladen worden.

Nun ja, genug gejammert und zurück zum wahren Leben und den Lehrer:innen.

Wie kann ChatGPT Schule besser machen?

Wie muss es sein, damit es gut ist? In Zeiten des Lehrermangels würde ich sagen:

  • individuelles Lernen in der Geschwindigkeit, die für den Schüler passt
  • Einen Dialogpartner an der Seite zu haben, der mich nicht belächelt und nicht bewertet, sondern geduldig mit mir übt.
  • Lernen, indem wir Fragen stellen
  • Verschiedene Perspektiven verstehen

Machen wir es konkret. Los geht’s:

Neue Erklärungen finden

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Etwas, das für Lehrer und Schüler hilfreich ist. Lehrer finden vielleicht neue Ideen, etwas zu erklären. Schüler können in diesen für viele mit Angst und Scham besetzten Fächern mit dem Bot so lange in den Dialog gehen, bis sie es verstanden haben.

Einfaches Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen einem Koeffizienten und einem Parameter.

ChatGPT zum Parameter:

„Ich würde zum Beispiel sagen, dass ein Parameter wie eine Eigenschaft eines Gegenstandes ist, das uns hilft, es zu beschreiben. Wenn wir zum Beispiel über einen Ball sprechen, könnten wir Parameter wie seine Farbe, Größe oder Form verwenden, um zu beschreiben, wie der Ball aussieht. Diese Parameter bleiben normalerweise gleich, es sei denn, wir ändern den Ball selbst.“

ChatGPT zum Koeffizienten:

„Ein Koeffizient hingegen ist wie ein Freund, der uns sagt, wie wir uns verhalten sollen. Wenn wir zum Beispiel ein Rennen laufen und schneller laufen wollen, kann unser Freund uns sagen, wie viel schneller wir laufen müssen, um das Rennen zu gewinnen. Dieser Faktor, den unser Freund uns sagt, ist der Koeffizient, und er ändert sich je nachdem, wie schnell wir laufen wollen.“

Woher wissen wir, dass das stimmt? Indem wir im Klassenverbund darüber sprechen. Wer hat welche Fragen gestellt, welche lieferte die besten Antworten.

Von der Naturwissenschaft zu Fremdsprachen: Der Bot als geduldiger Gesprächspartner aus einem anderen Land.

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Diese Funktion wird vermutlich sowieso in kürzester Zeit auf allen möglichen Sprachapps bereitstehen. Eine Sprache in dem Tempo und mit den Themen lernen, die mir am nächsten sind und die mich interessieren. Auch hier wieder spielt die Scham eine große Rolle. In der Schule habe ich mich kaum getraut, überhaupt in einer Fremdsprache zu reden aus Angst vor Fehlern. Mit dem Bot ist das ganz entspannt.

Perspektivwechsel üben

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Vielleicht einer der wichtigsten Aufgaben, die ein Bot übernehmen kann: dabei helfen, eine andere Perspektive wahrzunehmen. Sich aktiv damit auseinanderzusetzen und lernen, zu argumentieren. Und vielleicht sogar die eigene Meinung überdenken. In Zeiten der polarisierenden Social Media Bubbles vielleicht wichtiger als ja zuvor.

Ich habe den Dialog mit dem Bot geführt und habe einiges Neues gelernt. Der Vorteil: Ich sitze keinem Menschen gegenüber, den ich übertrumpfen oder wenigstens nicht unterliegen möchte, sondern kann ganz entspannt einen anderen Blickwinkel einnehmen und überdenken. Stimmt das, was er sagt oder hat er eine eingeschränkte Sichtweise?

Lernen durch Lehren

Wie sagte schon Einstein: „Wenn Du es nicht erklären kannst, dann hast Du es nicht gut genug verstanden.“

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Nehmen wir das „Abilene Paradox“: Dabei handelt es sich um ein Phänomen, bei dem eine Gruppe sich zu einer Handlung entscheidet, obwohl alle in der Gruppe sich alleine dagegen entscheiden würden. Der Name kommt daher, weil eine Gruppe von Freunden lange Zeit jeden Freitag in eine Pizzeria nach Abilene gefahren ist, obwohl keiner aus der Gruppe gerne Pizza isst.

ChatGPT ist der Schüler, der Schüler ist der Lehrer. Er fordert den Bot auf, an verschiedenen Beispielen das Paradox zu erklären:

  • Schreibe das erste Kapitel eines Science Fiction Romans, das mit dem Abilene Paradox beginnt. Die Aliens überlegen, ob sie in einer Stadt oder in der Wüste landen sollen.
  • Beschreibe das Phänomen aus Sicht eines Sozialwissenschaftlers.
  • oder, oder, oder: der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt

Die Schüler vergeben nun Noten. Welche Fragestellung hat der Bot am besten gelöst und warum? So wird kritisches Denkvermögen geschult.

Apropos „kritisches Denkvermögen“:

Ist der Bot neutral?

Heiß diskutiert wurde die Neutralität des Bots. An welchen Daten wurde er trainiert. Das wissen wir nicht und es zeigt wieder einmal die gesellschaftliche Bedeutung von Technologietransparenz. Die Gegenfrage lautet: „Kann es Neutralität überhaupt geben?“ Die Texte in Schulbüchern spiegeln ja auch unwillkürlich die Perspektive der Autoren wider alleine schon durch die Auswahl der Fakten, von denen berichtet wird. Da sind wir wieder bei der Bedeutung des kritischen Denkvermögens.

Auch hier gilt: Es gibt kein schwarz oder weiß, nach dem Motto „früher war alles gut, jetzt wird alles schlimm“ oder andersherum. Am Ende des Tages geht es um Ausgewogenheit beim Einsatz neuer Technologien.

Und wenn jemand doch einfach nur vom Bot abschreibt?

Seien wir ehrlich. Die Abschreiber gab es immer schon, mich eingeschlossen. Früher habe ich das manchmal in der Straßenbahn auf dem Weg zur Schule gemacht, heute übernimmt das der Bot. Warum habe ich das getan? Weil mich das Thema gelangweilt hat. Lernen werden Schüler damals wie heute dadurch nicht.

Fazit

Die Begeisterung und Offenheit war groß, es herrschte teilweise vielleicht sogar eine Art Aufbruchstimmung. Gab es auch kritische Fragen? Ja. Das ist gut so, denn Technologie beinhaltet immer beides. Wie offen ist die Technologie (leider gar nicht), dürfen unter 18jährige den Bot benutzen (unklar), welche Aspekte sind beim Datenschutz zu beachten? Wir haben natürlich noch lange nicht alle Fragen geklärt (wie auch?). Wie heißt es so schön: „Der Weg entsteht beim Gehen.“ Heißt konkret, lasst uns auf die Reise begeben, die Antworten werden wir dann finden. Um bei der Analogie zu bleiben: Die Antworten werden wir nicht vom heimischen Sessel aus finden.

Die großen Fragen: Das Ziel von Bildung?

Ich habe viele nachdenkliche Gespräche geführt: Was ist Ziel von Bildung? Streben nach Erkenntnis statt Lernen von nackten Fakten, kritisches Denkvermögen und vor allen Dingen: Offenheit für eine sich stetig verändernde Welt.

Was bedeutet das Thema KI eigentlich für Schüler in sozialen Brennpunkten, für die Hauptschulen? Häufig wird die These aufgestellt, dass diese Schüler (noch mehr) abgehängt werden könnten. Ob das wirklich so ist, das wird die Zeit zeigen. Schon bald wird GenerativeAI allgegenwärtig in vielen Apps werden. Wir werden mit einer Maschine so selbstverständlich sprechen wie mit unseren Freunden und Verwandten – heißt konkret: es gibt so gut wie keine Eintrittschwelle, die es zu überschreiten gilt. Wenn KI also sowieso Einzug im Alltag hält, wird sie es auch im Kontext der Schule. Unweigerlich. Besser, die Lehrkonzepte stellen sich aktiv darauf ein. Ob das wirklich inklusiv ist, muss sich noch zeigen. Anhand der oben genannten Beispiele sehe ich die Chancen dafür als realistisch an.

Wen trifft es am schnellsten?

Wenn es um Schule geht, reden wir natürlich auch darüber, wen es denn am meisten betrifft: Aktuell die Kreativen, die Wissensarbeiter, Programmierer, Journalisten, Marketing-Experten. Also genau die, die eher das Gymnasium besucht haben. Für die Stylistin, den Koch, den Sanitärinstallateur, die Handwerker im allgemeinen ist das Thema noch ein wenig weiter weg. Und da wären wir wieder beim Ausgangspunkt: Wenn die Stimmen, die über Social Media, TV, oder Printmedien repräsentativ für die betroffenen „Bildungsbürger“ wären, dann nehme ich leider eine Mischung aus Ignoranz, Häme und Arroganz wahr. Das wird uns nicht weiterhelfen. Wir brauchen kritisches Denkvermögen, Offenheit und Neugierde. Eine positive Ausnahme ist übrigens Sascha Lobo, der mit seinem Artikel (einmal wieder) den Nagel auf den Kopf trifft.

Gut, dass wir die Lehrer haben, die wir haben. Dort habe ich nämlich das Gegenteil erlebt: Offenheit für Neues, Freude am Ausprobieren gepaart mit kritischem Hinterfragen. Vielleicht ist Deutschland ja doch nicht so träge, wie es manchmal offiziell den Anschein hat. 😊 🙃

Lasst es uns angehen!