“Digitalisierung bedeutet Wandel” ist meine Nummer 1 unter den größten Floskeln dieser Zeit. Warum? Weil sie nur das Offensichtliche benennt, das Schwierige – das “Wie” – außen vor lässt. Grund genug, uns heute einmal genau dieser Frage zu widmen: Wie kommt etwas Neues in unser eigenes Leben, in Unternehmen und Gesellschaft. Wohl die wichtigste Frage überhaupt, denn gerade jetzt wird immer deutlicher, dass wir als Menschheit vieles anders machen müssen, wollen wir unser Überleben auf diesem Planeten sichern.
Auch große Veränderungen beginnen im Kleinen: also bei uns selbst.
Widmen wir uns also zunächst einmal der Frage, was Menschen antreibt, etwas Neues zu wagen. Die so viel gepriesene Veränderung ist ja nicht nur positiv konnotiert. Neben Abenteuerlust, neuen Anregungen und Entwicklungsmöglichkeiten gibt es da ja auch noch das Gefühl der Aufregung, Unsicherheit und Angst. Was braucht es, um sich bewusst für den unbequemen Weg, bei dem wir nicht wissen, was sich hinter der nächsten Kurve befindet, zu entscheiden?
Meine persönliche Geschichte
Für einen Teil der Antwort möchte ich zunächst für mich selbst sprechen. Meine größter Antrieb ist: Weil ich das Leben in der Fülle auskosten möchte. So genau kann ich das erst in der Rückschau benennen. Aber genau dies war der Grund, warum habe ich sichere Jobs gekündigt habe, um neu durchzustarten. Hätte auch schief gehen können, ist auch manchmal schief gegangen. Was hat mir Sicherheit gegeben? Diese Frage habe ich mir selber oft gestellt, gerade wenn es einmal nicht gut lief. Einige Antworten habe ich gefunden: Eine davon ist mein Umfeld: Meine Familie, meine Freunde. Die mich als Mensch schätzen und nicht wegen meines Titels oder der Höhe meines Kontostandes. Die mich in als Neu-Selbständige in extrem unsicheren Corona-Zeiten wie selbstverständlich getragen haben: Ihre Netzwerkkontakte eingesetzt haben oder einfach nur an mich geglaubt haben: “Wenn eine es schafft, dann Du.” Tatsächlich bin ich recht gut durch diese Zeit gekommen.
Gerade das Beispiel meiner Selbständigkeit zeigt sehr deutlich, was Wandel bedeutet: Sich in etwas nur bedingt Planbarem hineinzubegeben. Übertragbar ist dies eins zu eins für Unternehmen und Innovation: wie wissen vorher nicht, ob es ein Erfolg wird oder nicht.
Erfolg wird gerade in Zeiten des Wandels immer mit Risiken und der Gefahr des Scheiterns einhergehen. Äußere Sicherheiten helfen da nur bedingt weiter. Hohes Gehalt, vielleicht auch Erbschaften oder ein quasi unkündbares Arbeitsverhältnis adressieren unsere kognitive Seite. Das, was mit Wandel einhergeht, hat aber sehr viel mit Emotionen zu tun: Sehnsucht & Abenteuerlust auf der einen Seite, Ängste und Unsicherheiten auf der anderen. Damit die positiven Aspekte des Wandels überwiegen, brauchen wir innere Sicherheiten – sie sind das Fundament für Wandel.
Meine beschriebenen “Fangnetze” haben mir eine Art Urvertrauen gegeben. “Et hät noch immer joot jejange” würde der Kölner sagen. Oder anders ausgedrückt: Wir springen vom drei Meter Brett ins Wasser, weil wir wissen, dass wir schwimmen können – also auf unsere Fähigkeiten vertrauen und nicht darauf, dass da ein Bademeister am Rand steht. Der alleine hat noch niemanden zum Sprung ins Wasser verholfen – er ist sozusagen die äußere Sicherheit.
Innere Sicherheiten: Vertrauen auf eigene Fähigkeiten und die Qualität der menschlichen Verbindungen
Wie ergeht es anderen? Schauen wir auf zwei Menschen, deren Biographie gelebte Transformation im Sinne von Weiterentwicklung und Ausschöpfen der eigenen Potenziale ist: Evgenyia Ettinger und Stefanie Kemp. Ihre Erfahrungen können uns bei der Spurensuche weiterbringen. Sie waren beide Gast in unserem Podcast provokant rosarot und ich habe wieder einmal etwas lernen dürfen.
Evgenyia ist in Russland geboren und nach dem Abitur alleine nach Deutschland gegangen, um Jura zu studieren. Heute ist die Führungskraft bei Oracle und hat führt die Oracle Woman’s Leadership in
Deutschland. Ach ja, und so nebenbei ist sie Teilhaberin an einem Sterne-Restaurant in München. Was sind ihre Erfahrungen mit Führung im Kontext von Wandel?
Die große Aufgabe von zeitgemäßer Führung: den Menschen stärken
Wenn innere Sicherheiten wichtig sind, um Wandel anzunehmen, sollte es DIE Führungsaufgabe unserer Zeit sein, diese zu vermitteln. Ist das überhaupt möglich, wenn ja wie? Evgeniya antwortet mit zwei Geschichten aus ihrem Leben: Veränderung bedeutet Richtungsänderung. Dazu muss ich zunächst einmal wissen, in welche Richtung es überhaupt gehen soll. Eine Mentorin bei Oracle hat ihr den Rat gegeben: “Schreibe jeden Tag auf, was Dir heute am meisten Freude gemacht hat. Das ist die Richtung, in die Du weiter gehen solltest.” Ein guter Tipp, den ich selber beherzige – ich kann bestätigen, dass dies etwas bewirkt. Übertragen auf den Bademeister: Führungskräfte stehen nicht mehr am Rand und kontrollieren, ob jemand ertrinkt. Sie helfen den Schwimmstil zu finden, der zu uns am besten passt.
Nun ist die Richtung bekannt, aber wage ich den Sprung ins Unbekannte? Welche Rolle kann Führung hier spielen? Evgenyia sagt: Den Mut, eine große Herausforderung anzunehmen hatte ich vor allem deshalb, weil meine Führung mir gesagt hat: Wenn es nicht klappt, dann war es nicht die richtige Richtung. Dann finden wir etwas Neues. Du hast als Mensch viele Fähigkeiten. Da sind sie wieder: die inneren Sicherheiten – oder anders ausgedrückt: Vertrauenskultur. Es zeigt sehr deutlich, dass diese kein Buzzword von New Work ist, sondern unerlässliche Notwendigkeit im Digitalen. Die Vertrauenskultur ist im Berufsleben das, was Freundschaften im Privaten sind: ohne Vertrauen brauchen wir Transformation gar nicht erst beginnen.
Die Leidenschaft entdecken
Machen Frauen eigentlich einen Unterschied, wenn es um Führung geht? Eine, die es wissen muss, ist Stefanie Kemp: Head of Oracle Deutschland und mehrfach preisgekrönter CIO. Auch Stefanie ist gelebte Veränderung. Von der Kinderkrankenschwester zu einer steilen Karriere in der Informationstechnologie. WIe kam’s? “Ich habe irgendwann meine Leidenschaft entdeckt” sagt sie.
Das zu erkennen, ist ein Geschenk. Setzt voraus, wir lassen es zu. Setzt voraus, wir haben eine Fähigkeit zur Selbstreflektion. Eine Möglichkeit: Aufschreiben, was mir heute Spaß gemacht hat – wie es Evegniyas Mentorin empfohlen hat. Die Leidenschaft in sich zu entdecken ist nämlich nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ist aber die Basis, um das Abenteuer Leben auch wirklich leben.
Hat sich die Sichtweise auf Lebensläufe geändert?
Stefanie meint: “Wurde ich noch vor zehn Jahren als Jobhopperin gesehen, wird mein Lebenslauf heute positiv gesehen: Toll, wieviel Erfahrung sie haben.” Wenn vor einigen Jahrzehnten es noch ausgemacht war, mit der Wahl der Ausbildung oder des Studiums sein Leben auf Schienen zu setzen, die dann möglichst nicht mehr verlassen werden sollten, hat sich dies geändert.
Und das ist gut so. Veränderung heißt nämlich: viele Berufe, die es heute gibt, wird es morgen nicht mehr geben. Dafür wird es Aufgaben und Rollen geben, die wir heute noch gar nicht kennen. Wir werden uns also auf vielen Ebene auf neues Terrain wagen müssen: Individuell, unternehmerisch und gesellschaftlich.
Wer als Organisation wandelbar sein wird, muss innere Sicherheiten bieten. Die große Führungsaufgabe im Digitalen. Dann werden Menschen ihr Potential entfalten und Wandel aktiv gestalten. Denn Neues entsteht im Chaos und im Chaos helfen uns nur innere Sicherheiten.
Im Chaos des Neuen helfen nur innere Sicherheiten
Es sind manchmal nur kleine Dinge, die einen Unterschied machen. Als die Mitarbeiter von Oracle vor einem Jahr plötzlich von zu Hause aus virtuell zusammengearbeitet haben, hat Stefanie die Aktion “send me a smile” ins Leben gerufen: Sich untereinander etwas posten, das den jeweils anderen zum Lächeln bringen soll. Da ist es wieder: die menschliche Begegnung. Digitalisierung bedeutet am Ende eben immer “der Mensch im Mittelpunkt”.