Digitale Geschichten

Hyper-vernetzt überholt starr verdrahtet: Warum das Digitale Hierarchien hinterfragt

Die digitale Welt ist hyper-vernetzt: Milliarden internetfähiger Dinge bilden ein immer genaueres digitales Abbild der realen Welt. Schnittstellen oder besser gesagt „Verknüpfungen“ werden immer wichtiger: Wertschöpfung entsteht durch Verbindung unterschiedlicher Informationen und Dinge: Straßenlaternen mit Bewegungsmeldern, E-Scooter-Preisgestaltung abhängig vom Wetterbericht, Sensordaten über den Druck im Duschkopf im Hotelzimmer mit einer digitalen Hotline eines Sanitärbetriebes, die SpotifyPlaylist mit der SmarterHome App … die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Sie zeigt eines:

Digital = hyper-vernetzt = komplex

Die wichtigste und schwierigste Aufgabe: die Mechanismen von Vernetzung verstehen, um Organisationen weiterzuentwickeln. Die so viel beschriebene Komplexität ergibt sich durch eine scheinbar chaotische Vernetzung von allem mit jedem. Die Möglichkeiten sind schier unendlich – um sie zu nutzen, brauchen wir eine vollkommen andere Herangehensweise, als die, in der wir alle aufgewachsen sind.

Industriell = starr verdrahtet = kompliziert

Die meisten Organisationen sind hierarchisch strukturiert. Bedeutet, die Kommunikations- und Entscheidungswege sind starr und eindimensional, sie bündeln sich auf einige wenige Menschen. In einer Welt, in der Wertschöpfung durch Vernetzung geschieht, ist das ein Systembruch. Machen wir es konkret:

Schauen wir uns das Smarter Home an: Vielleicht haben wir angefangen, die Heizung digital zu steuern: unser Smartphone, die Thermostate und Sensoren an den Fenstern sind miteinander vernetzt. Ist ein Fenster geöffnet, schaltet sich die Heizung aus – nähern wir uns unserem Zuhause, wird die Heizung auf die Wunschtemperatur hochgefahren. Später kommt dann noch die Steuerung der Jalousien hinzu, dann kommt Alexa hinzu: wir können über Sprachbefehle vom Wohnzimmer aus sagen, dass die Badewanne gefüllt werden soll und die Temperatur im Bad auf 24 Grad erhöht werden soll. Und im nächsten Monat planen wir, die Verknüpfung des Bewässerungssystems im Garten mit der Wetter App: bei einer länger andauernden Hitzewelle wird nachts gewässert.

Was ist als Anbieter einer SmarterHome-App wichtig? Dass einer für die nächsten Jahre bestimmt, wann welche Funktionen eingebaut werden? Wohl kaum. Ein Weg, der schnell in die Sackgasse führen wird. Das hart Verdrahtete hat ausgedient.

Verbindungen sind der Schlüssel: technologisch und kulturell

Was ist die Alternative? Stürzen wir uns planlos ins Chaos? Die Lösung liegt nicht nur technisch, sondern auch kulturell in der Qualität der Schnittstellen.

Konkret: Austausch von und Zugang zu Informationen muss so einfach wie möglich gemacht werden. Was im Privaten gilt, muss auch für Unternehmen selbstverständlich werden: Wenn ich daheim nicht weiß, wie der Schrank zusammengebaut wird, schaue ich auf Youtube – wieviel einfacher hat uns das das Leben gemacht. Der Zugang zum Wissen anderer macht es für uns alle leichter. In Organisationen ist dies als Selbstverständlichkeit noch nicht angekommen.

Menschen, die im Unternehmen ihr Wissen sichtbar machen, müssen belohnt werden. Herrschaftswissen hat ausgedient. Wenn Frau Müller aus Abteilung B das Wissen von Herrn Meier aus Abteilung C benötigt, muss sie ihn finden können und sich ohne hierarchische Umwege mit ihm austauschen dürfen.

Wissen wird mehr, wenn es geteilt wird. Deshalb müssen aus Abteilungen Verbindungen werden.

Vernetzte Organisationen haben deshalb ein anderes Verständnis von Führung

Da Komplexität sowieso nicht von einem Einzelnen durchdrungen werden kann und die Planbarkeit immer geringer wird, macht der klassische Top-Down Ansatz kaum noch Sinn: Die Umsetzung von (langfristigen) Zielen wird in Maßnahmen aufgeteilt – die Führung verteilt Aufgaben. Das ist viel zu langsam. In vernetzten hochkomplexen Systemen muss dieser Ansatz scheitern.

Deshalb ist Arbeiten nach starren Vorgaben nicht mehr zeitgemäß. Doch wie kann es anders gehen?

Wird Führung überflüssig? Keinesfalls, sie ist so wichtig wie noch nie zuvor. Allerdings sieht diese ganz anders aus.

Der Paradigmenwechsel könnte nicht größer sein

Das Wissen, die Ideen, die Projekte müssen orchestriert werden. Digitale Services mit echter Wertschöpfung entstehen, wenn neue Vernetzungen geschaffen werden: die Spotify Playlist mit der Smarter HomeApp, der Gartenschlauch mit dem Wetterbericht oder was auch immer für ihr spezielles Produkt Sinn macht. Der Wettbewerbsvorteil ergibt sich immer stärker aus den Services um ein Produkt herum als durch das Produkt als solches.

Führung im Digitalen heißt also: statt Top-Down zu delegieren, das Meer der Möglichkeiten zu orchestrieren. Im ersten Schritt geht es vor allem darum, die entsprechende Arbeitskultur zu schaffen.

Transparenz als Default und individuelle Freiräume: die Dünger für eine vernetzte Arbeitskultur

Transparenz muss der neue Default sein. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen muss die Sicherheit haben, dass es erlaubt und erwünscht ist, seine Expertise sichtbar zu machen: Nur wenn Menschen in der Organisation die Chance haben, die passenden Experten auch zu finden, wird Vernetzung entstehen, gedeiht das Klima für neue Projekte.

Das alleine reicht jedoch nicht. Zusätzlich muss jeder die individuelle Freiheit haben, sein Wissen zu teilen. Das kostet Zeit. Wenn dies nicht anerkannt wird, sondern vielleicht sogar mit einem Misstrauen beäugt wird „Hast Du sonst nix zu schaffen?“ – haben Sie keine Chance.

Dieses Klima zu schaffen, ist die große Führungsaufgabe unserer Zeit. Den Paradigmenwechsel einzuleiten. Es liegt auf der Hand, dass dieser Art von Führung ein anderes Menschenbild zugrunde liegt. Führung heißt nicht, „ich bin besser“ oder „ich kann alles“, sondern „ich ermögliche“, „ich schaffe Freiräume“. Eine schöne Aufgabe.

Führung muss nicht mehr alles wissen, sie muss ermöglichen

Nicht umsonst stehen immer mehr Führungskräfte vor dem Burnout, immer weniger junge Menschen streben eine Managementposition in einer Hierarchie an. (Studie Boston Consulting Group, 2020) Kein Wunder, denn Komplexität ist mit einem starren Top-Down Ansatz nicht mehr zu managen. Die gute Nachricht: gute Führungskräfte müssen nicht mehr alles wissen. Viel wichtiger ist das Bewusstsein der eigenen Grenzen. Dies erzeugt eine Haltung der Offenheit für neue Sichtweisen. So werden neue Perspektiven geschaffen.

Unwissen ist eingeschränkt, Nicht-Wissen ist Offenheit für Neues

Wichtig ist, dass Nicht-Wissen das Gegenteil von Unwissen ist. Der Unwissende sucht nicht, er ist sich vielleicht seiner Unkenntnis gar nicht bewusst. Der Nichtwissende kennt sehr genau die Beschränkungen des Einzelnen, so klug er auch sein mag. Deshalb liegt dem Nichtwissen eine Offenheit zugrunde: Der Wunsch zuzuhören und zu lernen.

Wer erkennt, dass er nicht alles wissen kann, kann Fehler zugeben

Wenn die hypervernetzte Digitale Welt des Internets der Dinge eine schier unüberschaubare Menge an Möglichkeiten bietet, werden wir oft falsche Wege einschlagen oder die Richtung ändern müssen. Das fällt umso leichter, wenn der eigene Anspruch ein realistischer ist. Dann können wir aus Fehlern lernen und Risiken besser aushalten. Daran wird nämlich kein Weg vorbeiführen.

Rasanter Wandel heißt: wir müssen uns eine Welt vorstellen können, die ganz anders ist als alles, was wir heute kennen

Erfahrungen von gestern müssen morgen nicht mehr gelten. Sicherheit beziehen wir nicht mehr aus Planbarkeit, sondern aus der Qualität unserer Verbindungen. Jede Krise zeigt es: Vernetzung macht uns resilient – im technologischen als auch im menschlichen Sinne.

Deshalb mein Rat: Achten Sie auf Ihre Schnittstellen!

Dann ist das Digitale eine unendliche Quelle neuer Möglichkeiten.