Digitale Geschichten

Führung ohne Filter: Wie radikale Transparenz NVIDIA an die Spitze brachte

Der Erfolg von Nvidia ist beeindruckend. Zeit, um von dieser Organisation zu lernen. Schauen wir uns an, was einer der erfolgreichsten CEOs unserer Zeit anders macht: Jensen Huang, der CEO von NVIDIA. Bevor wir zu seinem sehr besonderen Führungsstil kommen, gehen wir einen Schritt zurück in die Vergangenheit. Als Huang in den 90er Jahren als CEO begonnen hat, hat der Konkurrent Intel schon Milliarden Umsätze gemacht. Der Vergleich „David gegen Goliath“ ist durchaus zutreffend. Die Zahlen heute sprechen eine Sprache für sich, die beiden wichtigsten Mitbewerber intel und AMD spielen bezogen auf den Umsatz nicht mehr in der gleichen Liga.

Kommunikation ist Kernkompetenz

chon seit mehr als 10 Jahren spreche ich darüber, dass Kommunikation die Kernkompetenz eines digitalen Unternehmens ist. Informationen müssen fließen, Herrschaftswissen macht eine Organisation starr, langsam und lässt nur eine eindimensionale Betrachtungsweise zu.

Jensen Huang zeigt eindrücklich, wie es geht: NVIDIA hat flache Organisationsstrukturen. Bedeutet, er hat bis zu 60 Führungskräfte aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, die direkt an ihn berichten, ohne die typischen 1 zu 1 Feedback-Gespräche in regelmäßigen Abständen. Warum? Weil diese zu eindimensional sind. Es geht um verschiedene Perspektiven, die betrachtet werden müssen. Führen in Komplexität. Feedback gibt es schon, aber nicht „oben nach unten“, sondern jederzeit und in alle Richtungen. Auch Jenson gegenüber.

Wer jemals in einem Konzern gearbeitet hat, weiß, wie revolutionär dies ist. Je mehr Hierarchiestufen, umso gefilterter werden die Botschaften. Für einen CEO ist es entscheidend, dass er die Realität mitbekommt. Er muss wissen, wie es wirklich im Unternehmen aussieht. Eine echte Führungskraft macht aus, dass sie „in den Abgrund schauen kann“, also mit der Welt, wie sie ist, konfrontiert wird. Ungeschönt und multi-perspektivisch.

Beim Schreiben kommt mir das Beispiel Boeing in den Sinn. Vor Jahren habe ich eine Dokumentation über den Abstieg des Unternehmens gesehen. Fokus waren die zahlreichen Qualitätsmängel, die mit zwei Abstürzen der Boeing 777max mehreren hundert Menschen das Leben gekostet hat. Langjährige Mitarbeiter berichten eindrucksvoll, dass mit einem kontrollierenden Führungsstil die Kultur der Kommunikation untergegangen ist. Früher hat jeder (!) vom Arbeiter bis zum Ingenieur Bedenken äußern dürfen. Diesen würde nachgegangen, bis sie ausgeräumt wurden.

Das Beispiel Boeing zeigt übrigens genauso wie das Beispiel Nvidia das Führung eben nicht beliebig ist, sondern vor allen Dingen eines ist: Systemsteuerung. Diese schafft Kultur, diese schafft Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein und damit Qualität. Simple as that.

Hierachiestufen sind ungesunde Filter

Wir kennen es alle: Wenn wir an eine Führungskraft berichten sollen, dann erzählen wir gerne das, was diese gerne hören möchte. Schließlich wollen wir eine gute Beurteilung. Das mag uns vielleicht nicht immer so bewusst sein, es ist wohl unvermeidlich.

Kontext prägt Verhalten. Erst recht, wenn variable Gehaltszahlungen davon abhängen. Das führt dazu, dass Berichte von der Basis an die Spitze immer mehr gefiltert werden. Bis das Top-Management, in dessen Händen die Geschicke des Unternehmens liegen, nur noch die „gewünschte Realität“ zu sehen bekommt. Nehmen wir dann noch hinzu, dass unser menschliches Gehirn Informationen danach filtert, was unserer Weltsicht sowieso entspricht (der berühmte Confirmation Bias), dann ist der Weg in die Weltfremdheit fast unvermeidlich?

Keine Status Reports

Wer kennt sie nicht: die Reports, die vordefinierte Kennzahlen des Unternehmens widerspiegeln. Ein Klassiker in den meisten Unternehmen. Die Gefahr: die definierten Kennzahlen gehen vielleicht an den wirklich wichtigen Themen vorbei. Bis diese erkannt werden, ist wertvolle Zeit vergangen. Wer nur auf Umsatzzahlen schaut, erkennt als Automobilhersteller vielleicht zu spät die Bedeutung von Schnelladestationen, Over The Air Updates oder Softwaresteuerung durch eine App. (Ein Schelm, wer jetzt an Tesla denkt.)

Zurück zum Thema: Genau aus diesem Grund gibt es bei NVIDIA keine statischen KPI-Reports. Jeder Mitarbeiter ist aufgefordert, ihm per Mail die 5 wichtigsten Themen zu beschreiben, die gerade im Kopf herumgeistern.

Was Mitarbeiter beschäftigt, ist wichtig. Egal, was es ist.

Der Vorteil: Genau dieser Realitätscheck verschafft den so dringenden Überblick über die Ideen und Herausforderungen der Menschen im Unternehmen – in aller Vielfalt. Genau deshalb liest Jensen Huang jeden Morgen etwa 100 dieser Mails. Die Wirkmacht, dass jeder Mensch im Unternehmen ernst genommen wird und dem CEO jederzeit eine Mail mit seinen Ideen, Problemen und Gedanken schreiben kann, ist gar nicht groß genug einzuschätzen. Man stelle sich vor, dies würde bei einem der großen Automobilhersteller (die Branche bietet sich als Beispiel an, weil sie für beinharte Hierarchien und Prozesse bekannt ist) oder irgendeinem anderen Konzern vergleichbare Größenordnung eingeführt.

Das Ergebnis:

Show, don’t tell: so entsteht Vertrauenskultur

Wie könnte man besser zeigen, dass das oberste Management Wert auf die Meinung jedes Einzelnen legt? Eben nicht durch klangvolle Mission Statements, sondern durch das tägliche Handeln. Show, don’t tell. Ein wunderbares Beispiel, wie es geht. Das ist Leadership.

Wenn wir schon bei Vertrauen sind, dann müssen wir über Transparenz reden. Sie wird nur dann entstehen, wenn Vertrauen vorhanden ist.

Radikale Transparenz

Radial trifft es wohl am besten: Meetings stehen jedem offen, unabhängig von ihrem Rang.

Ich wiederhole: Man stelle sich dies in einem klassischen Unternehmen vor. Das schafft eine Umgebung, in der jeder freien Zugang zu den notwendigen Informationen hat. Huang glaubt fest daran, strategische Richtungen und Bedenken offen zu teilen. Wenn er etwas zu sagen hat, tut er dies öffentlich innerhalb des Unternehmes und lädt zu Feedback und Diskussionen aus allen Ebenen der Organisation ein.

Genau das ist die reale Umsetzung von: „Kommunikation als Kernkompetenz“.

Wer mehr zu „Führung in einer komplexen Welt“ hören möchte, der sollte sich mein Gespräch mit Robert Vogel 🥽 🇩🇪🇺🇸 in meinem Podcast „provokant rosarot“ anhören. Mit Robert, selbst langjähriger Direktor bei Citrix, schauen wir uns an, was das konkret bedeutet. Robert trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt: „Wie müssen in einer komplexen Welt in Prinzipien und nicht in Regeln denken.“ Genau so it es. Jensen Huang zeigt konkret, wie es geht.

Chapeau.

Exponentielle Veränderung ist jetzt.