Digitale Geschichten

Technologie treibt New Work: Die etwas andere Betrachtung auf Pandemien

Eigentlich wissen wir es ja. Den großen Herausforderungen unserer Zeit werden wir nur begegnen können, wenn wir als Menschheit zusammenarbeiten. Der Klimawandel war über viele Jahre noch zu abstrakt, um einen echten Handlungsdruck zu spüren. Spätestens seit der COVID-19 Pandemie sehen wir wohl alle die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns. Die Frage ist nur, schaffen wir es überhaupt, nicht nur über nationale Grenzen, sondern auch über unzählige Fachbereiche hinweg zusammenzuarbeiten? Vernetzung auf einem ganz neuen Level? 

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass eine Epidemie dies schon einmal geschafft hat mit sehr eindrücklichen Ergebnissen. Schauen wir zurück zum Beginn der Industrialisierung.

Wozu Vernetzung? Ein Blick nach London in’s Jahr 1854 gibt die Antwort

Wir beamen uns nach London ins Jahr 1854. Damals war London die größte Stadt auf dem Planeten – unglaubliche 2,5 Mio Menschen lebten damals schon in der Stadt. An der Oberfläche sah die Stadt schon aus wie ein modernes Metropolis, die Infrastruktur allerdings war noch die des viktorianischen Zeitalters. Es gab kein Abwassersystem, sondern eine Senkgrube im Keller. Nennen wir es beim Namen: London stank zum Himmel.

Für die regelmäßig auftretenden Cholera-Epidemien, die Zehntausende mit dem Tod bezahlten, wurde deshalb die schlechte Luft Londons verantwortlich gemacht. Die Konsequenz: der Inhalt der Sinkgruben wurde in die Themse gekippt in der Hoffnung, die Epidemien damit besiegen zu können. Das Gegenteil war der Fall: die Schwere der Cholera Ausbrüche stieg bis zum Höhepunkt 1854. Der Arzt John Snow war schon früh der Meinung, der Erreger befinde sich nicht in der Luft, sondern würde über die Nahrung aufgenommen. Er stand allerdings alleine mit seiner Meinung. Der Durchbruch fand statt, als er mit dem Lokalpolitiker Henry Whitehead zusammenkam. Der war extrem gut vernetzt, kannte viele Menschen im Viertel und konnte für Soho sehr genau bestimmen, wer wo verstorben war. 

Dieses Wissen wiederum nutzte John Snow und erstellte die bis heute berühmte “Ghost Map”:

Quelle: https://www.nickfraser.org/2019/05/17/john-snow/

Die Ghost Map: die überzeugende Kraft der Datenvisualisierung

Er zeichnete für jeden Toten einen Strich in die Straßenkarte. Es wurde auf den ersten Blick deutlich, dass der Ausbruch auf eine einzige Wasserpumpe in einem Stadtviertel zurückzuführen war. Er konnte die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung überzeugen, dass Cholera nicht über die Luft, sondern über verseuchtes Wasser übertragen wurde. Es wurde offiziell befohlen, Wasser aus den öffentlichen Brunnen abzukochen. Durch die Macht der Datenvisualisierung waren die Cholera Epidemien in London von da an Geschichte.

Wir erkennen: Der Durchbruch in der Epidemie-Bekämpfung geschah durch Zusammenarbeit (Medizin + Lokalpolitik), der systematischen Erfassung von Daten und deren Visualisierung. Im Vergleich zu 1854 haben haben wir heute Werkzeuge zur Hand, die sich John Snow wohl in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. 

Der Kampf gegen ein Virus ist das typische VUCA-Szenario

Eine Pandemie ist das klassische VUCA Szenario. Eine schwer planbare, sich ständige verändernde und nicht eindeutige Situation. Die Datenlage verändert sich kontinuierlich, denn das Virus verändert sich. Je besser die Daten, je mehr Perspektiven eingeholt werden, umso besser können Entscheidungen beurteilt werden. 

Der Handlungsdruck in einer Pandemie bricht eingefahrene Muster auf

COVID 19 gibt der internationalen Zusammenarbeit noch einmal einen ganz neuen Schub.  Waren es in London von 1854 “nur” ein Arzt und ein Lokalpolitiker, sind es heute deutlich mehr Expertisen, die es braucht, um eine Pandemie einzudämmen: Datenanalysten alleine helfen nicht weiter, sie sind auf den Input von Klinken und staatlichen Institutionen wie beispielsweise das Robert-Koch-Institut in Deutschland angewiesen. Dazu kommt das Fachwissen von Diagnostikern, Epidemiologen und Entwicklern von Impfstoffen. Diese braucht es für die aktuelle Eindämmung der Pandemie. Und dann sind da noch die Experten für Therapieentwicklung, wenn es um die (Nach)behandlung der Erkrankten geht – und das weltweit. Puuh, das ist also das “Silo aufbrechen”, von dem Organisationsentwickler immer sprechen. Kann das funktionieren? Spoiler: es kann! 

Technologie schiebt “New Work” an:

Kehren wir wieder zurück in die Gegenwart. Diesmal nach Oxford. An der University of Oxford wird gezeigt, dass es möglich ist. Zusammen mit Oracle arbeiten sie mit dem GPAS – dem Global Pathogen Analysis System daran, neue Sequenzen von COVID-19 zu identifizieren und damit frühzeitig genetische Varianten des Virus zu erkennen. Warum braucht es die Zusammenarbeit mit einer BigTec Firma wie Oracle? Weil enorme Datenmengen gespeichert, gesichert, verarbeitet, aufbereitet werden und weltweit verfügbar gemacht werden müssen. 

Das Paradebeispiel für das Aufbrechen von Wissenssilos

Die von den Datenanalysten und Virologen aufbereiteten Daten werden überall auf der Welt genutzt. Von der amerikanischen Metropole bis zum abgelegenen Dorf in Asien. Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen auf allen Kontinenten nutzen die Daten, um lokal für sich bessere Entscheidungen fällen zu können. 

Zusammenarbeit ist ja keine Einbahnstraße. GPAS ist gemeinnützig und das ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, dass das System funktioniert. Die ärmeren Staaten haben schon bei der Influenza die Virenstämme sequenziert und an die WHO weitergeleitet. Wirtschaftlichen Nutzen daraus haben allerdings vor allem die reichen Länder gezogen. Dort wurden auf Basis der Daten Impfstoffe entwickelt, die sich die ärmeren Staaten nicht leisten konnten. Aus diesem Grund hat Indonesien im Jahre 2007 die Bereitstellung von Daten eingestellt. Bei GPAS haben die Datenspender Zugriff auf die Erkenntnisse, die aus diesen Daten gewonnen werden. Zusammenarbeit, wie sie sein sollte.

Gemeinsam entwickeln Menschen global in Rekordgeschwindigkeit neue Erkenntnisse

Nicht nur Institutionen, sondern jeder Einzelne kann etwas beitragen, um den Impfstoff sicherer zu machen. Zu Beginn der Pandemie war der Impfstoff noch nicht für Schwangere freigegeben. Heißt, diese haben sich auf eigenes Risiko impfen lassen. Freiwillig konnten diese Frauen Informationen über die Verträglichkeit der Impfung in das System eintragen. Die Daten wurden anonymisiert. 

Datenspende als Wert erkennen

Was können wir als Individuen daraus lernen? Nicht nur in einer Pandemie, sondern überall im Alltag können wir Daten spenden. Dies können die Nebenwirkungen von Impfstoffen sein, dies kann aber auch die Ergänzung von Informationen bei Open Street Map sein. Zum Beispiel welche Straßen nachts beleuchtet sind oder wie der Belag von Gehwegen ist. Damit Frauen nachts sicherer von der S-Bahn nach Hause kommen können oder Rollstuhlfahrer die passende Route wählen können.

Das Digitale geht uns alle an. Zusammenarbeit auf einem neuen Level.